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Höhlenangst

Höhlenangst

Titel: Höhlenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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Privatadresse?«, erkundigte ich mich auf dem Weg zum Wagen, in dem der Dackel ratzte.
    »Ich nicht«, antwortete Richard.
    Ich konsultierte die Telefonauskunft, und Richard programmierte seinen Navigator, der uns durchs Spalier unzähliger Factory-Outlets ins Ländliche unterhalb des Albtraufs leitete. Links eine Tankstelle, rechts Baumarkt und Möbelcenter. Dahinter, nach einer dunklen Einöde, an einen schattigen Waldrand gerückt, frische Straßen und Häuser. Es war halb neun, als Richard am Rinnstein vor einem noch feuchten Neubau hielt und übers Lenkrad gebeugt den Bungalow musterte. Fensterfront, Sonnenschirm auf einer Terrasse, Holzstühle, Steingarten, Kinderschaukel und Sandkasten. Die Garage war verschlossen. Davor stand der Zweitwagen, ein Mercedes der A- Klasse.
    »Im Amt hat er erzählt, dass er geerbt hat«, bemerkte Richard.
    »Was machen wir mit Cipión?«
    »Nimm ihn mit. Das entkrampft.«
    Ich klemmte mir den Dackel untern Arm. Sein Brustkorb füllte kaum meine Hand, seine Bauchdecke atmete gegen meinen Handballen, und zwischen Daumen und Zeigefinger einerseits und meinem Ring- und kleinen Finger andererseits baumelten die Stummelbeine herunter.
    Ein niedriges Zauntor hemmte unseren Schritt. Dann wandelten wir auf Platten auf eine überdachte Tür zu, wo ein Bewegungsmelder das Licht anspringen ließ. Richard drückte auf das großformatige Klingelschild mit dem Schriftzug Abele.
    Seine Frau öffnete, im Blick ein Wer-kann-das-sein?, im Gesicht einen lauten Tag mit den Kindern und die Küche noch vor sich. Sie wischte sich die Hände an den Jeans ab und strich sich eine braune Strähne aus den Augen.
    »Guten Abend«, sagte Richard. »Das ist Lisa Nerz, und ich bin Richard Weber von der Staatsanwaltschaft Stuttgart. Bitte verzeihen Sie die späte Störung, aber wir müssten dringend mit Ihrem Mann sprechen.«
    »Äh, ja!« Ihr Kaninchenblick schoss durch den Flur auf der Suche nach Staubmäusen und quer stehenden Kinderschuhen, aber es war alles tadellos aufgeräumt, gewischt und gewienert. »Eckart, kommst du mal? Besuch für dich.«
    Richards Schatten fiel förmlich hinter dem Garderobenschrank hervor. Abele trug im häuslichen Milieu An zughose und Weste, aber keine Krawatte. »Oh, Herr Dr. Weber«, lispelte er und wurde rot. »Welche Ehre, Sie in meiner bescheidenen Hütte begrüßen zu dürfen.«
    »Die Ehre ist ganz auf meiner Seite«, erwiderte Richard eisig. »Herr Hauptkommissar, hätten Sie wohl ein paar Minuten Zeit für uns? Wir sollten in einer bestimmten Angelegenheit mit Ihnen sprechen. Aber wenn es Ihnen lieber ist, können wir das auch im Amt tun.«
    »Ja, äh, ich muss dann in die Küche«, bot Abeles Frau verständig an. »Äh, was darf man Ihnen anbieten?«
    »Nichts, danke«, antwortete Richard.
    »Ein bisschen Wasser für den Hund?«, fragte sie. »Der ist ja süß! Noch jung, nicht wahr?« Sie streckte die Hand aus und fuhr Cipión über den Kopf. Er versuchte, den Zugriff mit seiner kalten Nase abzublocken, hatte aber letztlich keine Wahl, als die Streicheleinheit hinzunehmen.
    »Danke«, sagte ich. »Aber sonst pinkelt er Ihnen noch gegen die Sessel.«
    Eine Minute später befanden wir uns im Salon mit seiner Fensterfront zur Terrasse, schweren Ledersesseln und Sofas, Glastisch, Schrankwand, Flachbildfernseher und DVD- und Videoanlage.
    Ich setzte Cipión auf den Perserteppich. Er nieste und radierte, während es ihm die Schnauze zwischen seine kurzen Vorderbeine unters Brustbein verriss, mit der Na se über den Flor. Eine Fehlkonstruktion.
    Ohne Umschweife zog Richard die Patek Philippe mit dem von Cipión durchgekauten Krokoarmband aus der Jackentasche und legte sie auf den Glastisch zwischen Abele und uns. Abele rückte seine Brille zurecht und beugte sich vor.
    »Bevor Sie zugreifen, Herr Abele«, sagte Richard, entweder zu stolz oder zu berufserfahren, um mit Tricks zu arbeiten, »und sich zum Besitzer dieser Uhr erklären, muss ich Sie darauf hinweisen, dass sie in der Mondscheinhöhle gefunden wurde.«
    Abeles eigenartig glänzende und zusätzlich verspiegelte Augen waren auf Richard gepflanzt mit einer Intensität und Hingabe, die mehr war als die Bewunderung eines immer wieder zurückgewiesenen und – im Guten wie im Bösen – um Anerkennung werbenden Getreuen. Abele war verliebt. Nein, nicht verliebt, denn mit diesem Haus, der Hausfrau und einer unbekannten Zahl von Kindern im sozialen Gepäck gehörte er nicht zu den bekennenden Schwulen auf Partnersuche.

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