Hoelle auf Zeit
Hubschrau ber kurvte ein paarmal über ihm, aber nicht tief genug, so daß kein Anlaß zur Sorge bestand. Nach einer Weile entfernte er sich.
Es war sehr still, nur das Plätschern des Wassers, das Rau schen des Regens waren zu hören. Seine letzte Chance, ihm blieb nicht mehr viel Zeit, denn die Kälte ließ seinen Körper bis ins Innerste gefrieren. Immer noch an den Baum geklam mert, begann er heftig zu treten und sich ans andere Ufer vor zuarbeiten.
Es kostete übermenschliche Anstrengung, doch er ließ nicht locker, hörte sich schwer atmen und dann noch ein anderes Geräusch. Ein gedämpftes Tuckern hinter ihm. Als er sich umdrehte, um über die Schulter zu blicken, tauchte ein Motor boot aus dem Nebel auf und stieß leise an die Äste.
Ein halbes Dutzend Soldaten befand sich an Bord, doch nur einer fiel ins Auge – der Offizier, der sich über die Reling beugte und zu ihm hinuntersah. Er war Anfang Dreißig, jung für einen Colonel, mittelgroß, mit dunklen, wachsamen Augen und schwarzem, nach militärischen Begriffen viel zu langem Haar. Irgendwann einmal mußte er sich die Nase gebrochen haben. Er trug eine Tarnjacke, dazu ein beigefarbenes Barett mit dem Offiziersabzeichen des SAS, silberne Drahtschwingen mit dem Regimentswahlspruch: »Wer wagt, gewinnt«, in Rot auf blauem Grund. Er streckte die muskulösen Arme ins Was ser, um Egan herauszuhieven.
»Colonel Villiers«, sagte Egan schwach. »Sie hab ich hier nicht erwartet.«
»Ich bin Ihr Führungsoffizier bei diesem Unternehmen, Sean«, erklärte Villiers.
»Scheint, als hätt ich’s überzogen«, meinte Egan.
Villiers lächelte überaus charmant. »Für mich waren Sie ein
same Spitze. Jetzt machen wir lieber, daß wir hier rauskom men.«
Der 22. Regiment Special Air Service rangiert vermutlich als militärische Eliteeinheit weltweit an erster Stelle und setzt sich ausschließlich aus Freiwilligen zusammen. Das Auswahlver fahren ist so streng, daß für gewöhnlich nur jeder zehnte Be werber durchkommt. Die letzte Prüfung besteht in einem Ge waltmarsch, bei dem zweiundsiebzig Kilometer mit achtzig Pfund Gepäck in zwanzig Stunden zurückzulegen sind; die Strecke führt über die Brecon Beacons in Wales, eines der unwegsamsten Gelände in Großbritannien, das bereits Todes opfer gefordert hat.
Tony Villiers stand am Fenster des Bauernhauses und sah hinaus in den Regen, der vom Fluß her über die Bäume getrie ben wurde. Er dachte an den Mann, der gerade um ein Haar draufgegangen wäre. »Mein Gott, das ist wirklich ein ver dammt trostloser Ort bei einem solchen Wetter.«
Der junge Mann, der hinter ihm am Schreibtisch saß, lächel te. Auf dem Namensschild stand Captain Daniel Warden; er war zuständig für die Teststrecken in den Beacons. Er und Villiers dienten nicht nur als Offiziere im SAS, sondern waren auch beide Angehörige der Grenadiergarde.
Er schlug die vor ihm liegende Akte auf. »Ich hab hier Egans Personaldaten aus dem Computer, Sir. Wirklich ganz hervorra gend. Tapferkeitsmedaille für den Einsatz in Irland, keine nähere Begründung.«
»Ich bin darüber im Bilde«, erwiderte Villiers. »Er hat da mals bei mir gearbeitet. Geheim. South Armagh.«
»Kriegsverdienstmedaille auf den Falklandinseln. Schwer verwundet. Acht Monate im Krankenhaus. Knieplastik links, Kunststoff und Stahl oder so was. Spricht Französisch, Italie nisch und Irisch. Ganz was Neues.«
»Sein Vater war Ire«, erklärte Villiers.
»Noch ein interessanter Punkt. Er hat eine ganz anständige Public School besucht. Dulwich College.«
Warden selbst war Eton-Schüler, genau wie Villiers, der ihm nun vorhielt: »Seien Sie kein Snob, Daniel. Eine ausgezeichne te Schule. Gut genug immerhin für Raymond Chandler.«
»Tatsächlich, Sir? Das wußte ich gar nicht. Dachte, er war Amerikaner.«
»War er auch, Sie Idiot.« Villiers ging zum Schreibtisch, schenkte sich eine Tasse Tee ein und setzte sich auf die Fen sterbank. »Ich gebe Ihnen jetzt detailliert sämtliche Informatio nen über Sean Egan, die bei Group Four vorliegen und be stimmt nicht in Ihrem Computer gespeichert sind. Viele be merkenswerte Fakten über unseren Sean. Zunächst mal hat er einen recht ungewöhnlichen Onkel. Vielleicht haben Sie von ihm gehört? Ein gewisser Jack Shelley?«
Warden runzelte die Stirn. »Der Gangster?«
»Das ist lange her. In der guten, finsteren
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