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Hoellenfeuer

Hoellenfeuer

Titel: Hoellenfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Conrad
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gleiche zerknitterte Shirt von gestern trug, auch seine Haare wirkten wirr, als habe er sie nur durch seine Finger ein wenig in Form zu bringen versucht. Niemand hier im Saal hätte ihn auch nur einen einzigen Augenblick lang für das gehalten, was er tatsächlich war.
    „Ich glaube, ich bin noch nie zuvor hier gewesen “, sagte er und blickte sich neugierig um. Sofort starrten die Menschen im Saal wieder auf ihre Teller oder fuhren demonstrativ mit ihren Gesprächen fort. Amüsiert wandte Raphael sich Eleanor erneut zu.
    „Und? Was gibt's heute zu e ssen?“, fragte er mit einem Augenzwinkern.
    „Ich habe keine Ahnung “, lachte Eleanor. „Es sieht aus wie... tja, ich weiß es nicht.“
    Raphael grinste. „Ihr Menschen habt eine merkwürdige Einstellung zum Essen “, stellte er fest. „Entweder ihr nehmt es nicht wahr, oder ihr könnt nicht genug bekommen.“
    „Was ist mit dir?“, fragte Eleanor. „Du hast dir gar nichts geholt.“
    „Wir... wir essen nicht“, erwiderte Raphael und blickte betreten zur Seite. „Unsere Körper brauchen so etwas nicht.“
    Eleanor nickte. „Wie läuft das denn hier in Stratton Hall sonst bei dir mit dem Essen? Es muss doch auffallen, dass du nichts zu dir nimmst.“
    „Nein. Ich gelte ja als ziemlich teilnahmslos. Mir ist die letzten Jahre über das Essen immer aufs Zimmer gebracht worden. In einem unbeobachteten Augenblick entsorge ich es dann in der Toilette. Zumindest dazu hat meine Geistesgegenwart immer gereicht. Irgendwann holt ein Pfleger das leere Tablett ab und niemand bemerkt etwas.“
    „Ich verstehe “, meinte Eleanor. „Aber mit deinem Auftritt heute Abend hast du einige Leute wirklich in Erstaunen versetzt.“
    „Ist wohl so “, meinte Raphael. „Heute war schon Dr. Marcus ziemlich irritiert, als er bei seinem Routinebesuch zum ersten Mal meine Stimme hörte und ich mit ihm sprach.“
    Eleanor war beeindruckt. „In deinem Leben scheint sich etwas geändert zu haben “, stellte sie tonlos fest. „Du hast Jahre in deinem Toten Palast hier in Stratton Hall verbracht. Und plötzlich wachst du auf und öffnest die Augen...“
    „Das warst du!“, warf Raphael hastig ein. „Ich kann es nicht erklären, aber seitdem ich dich kenne, habe ich einen Grund aufzuwachen...“
    Eleanor starrte ihn mit offenem Mund an. Dann flackerte ihr Blick und sie sah betreten zur Seite. „Sag so etwas nicht..“, stammelte sie. „Ich bin doch nicht der Grund dafür...“
    In diesem Augenblick berührte Raphael Eleanors Wange und drehte ihr Gesicht, so dass sie einander in die Augen sahen. Er legte seine Hand auf ihre und während wieder dieses wohlige Gefühl durch Eleanor tobte, sagte er: „Zweifle nicht an dem, was ich sage. Ich weiß nicht, was hier geschieht. Aber ich weiß, dass es einen Grund dafür geben muss. Wir sind uns nicht aus Zufall begegnet. Und selbst, wenn ich für dich bedeutungslos bin – für mich bist du es nicht!“
    „Du bist nicht bedeutungslos für mich “, erwiderte Eleanor tonlos.
     
    An diesem Abend war Eleanor zum ersten Mal seit langer Zeit glücklich. Als sie ihr Zimmer betrat und die Tür hinter sich schloss, schien die ganze Welt aus der Bahn geworfen worden zu sein. Raphael. Noch vor wenigen Tagen hatte Eleanor diesen Namen nicht gekannt – jetzt bedeutete er die ganze weite Welt für sie.
    In dieser Nacht lag Eleanor lange wach. Sie hatte darauf verzichtet, das Tetradyxol zu sich zu nehmen. Zunächst einmal wusste sie, dass man sie beobachtete. Dr. Marcus hatte ihr Zimmer durchsuchen lassen und offenbar argwöhnte er, dass sie etwas mit dem Verschwinden des Medikamentes aus seiner Schublade zu tun hatte. Sie musste damit rechnen, dass man des Nachts nach ihr sah oder ihren Gesundheitszustand am Morgen unter die Lupe nahm. Zum anderen aber wusste sie, dass sie Raphael nun auch tagsüber in Stratton Hall würde treffen können. Es schien nicht länger notwendig zu sein, ihn in seinem Toten Palast aufzusuchen.
    Und dennoch hatte Eleanor sich diese Entscheidung nicht leicht gemacht. Sie fühlte sich so sehr zu Raphael hingezogen, dass es ihr fast körperliche Schmerzen verursachte, ihn über Nacht nicht zu sehen. Sie war innerlich aufgewühlt und unruhig.
    Dann musste sie an Bess denken. Bess verkörperte all das in Eleanors Leben, was noch an Normalität geblieben war. Sie war weltoffen und unkompliziert. Einfach, ausgeglichen und bodenständig. Eine Welt mit Engeln und Dämonen war ihr zweifellos vollkommen fremd.
    Raphael

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