Hoellenglanz
aber ich wusste genau, es wäre ihr zuwider gewesen, also rutschte ich einfach näher an sie heran, bis meine Schulter ihre streifte. Sie verspannte sich, und ich rechnete damit, dass sie von mir abrücken würde, aber dann ließ sie sich doch noch gegen mich sacken. Ich spürte das Zittern, als sie zu weinen begann, aber sie machte kein Geräusch dabei, nicht einmal ein Wimmern.
Ein riesiger Schatten bog um die Ecke. Derek folgte dem Schatten, den Kopf zur Seite gelegt, um im Wind wittern zu können. Seine Lippen zuckten, als er mich sah, und verzogen sich zu einem schiefen Lächeln.
»Hey«, sagte er. »Ich hab mir doch gedacht, dass …«
Tori hob den Kopf und wischte sich mit dem Ärmel über die Augen, und Derek verstummte.
»Sorry«, sagte er barsch und trat den Rückzug an.
»Schon okay«, sagte sie, während sie aufstand. »Meine Mitleidsession ist vorbei, du kannst sie jetzt haben.«
Als sie sich entfernte, zurück zu unserem Zimmer, stand Derek einfach nur da. Plötzlich wirkte er unsicher, geradezu nervös sogar. Ich klopfte neben mich, damit er sich setzte, aber er schüttelte den Kopf.
»Kann im Moment nicht«, sagte er. »Dad hat mich geschickt, ich soll dich holen.«
Ich wollte aufstehen, aber ein Fuß war eingeschlafen, und so stolperte ich. Derek fing mich ab und ließ mich nicht mehr los. Er beugte sich vor, als wollte er mich küssen, und hielt dann inne.
Hatte er vor, das immer so zu machen? Ich hätte ihn beinahe damit aufgezogen, aber er sah so ernsthaft aus, dass ich es nicht wagte.
»Deine Tante«, sagte er. »Hat sie irgendwas über unsere Pläne gesagt?«
»Nein.«
Er beugte sich wieder zu mir vor und überlegte es sich erneut anders. »Hat sie
überhaupt
nichts gesagt? Ob du nach Hause gehst oder nicht, zum Beispiel?«
»Tu ich nicht. Solange diese Kabale hinter uns her ist, kann ich nicht. Ich nehme an, wir bleiben erst mal bei euch, wenn es das ist, was dein Dad vorhat. Wahrscheinlich am ungefährlichsten so.«
Er atmete aus, als hätte er zuvor die Luft angehalten, und ich verstand endlich, warum er sich solche Sorgen gemacht hatte. Jetzt, nachdem wir der Edison Group entkommen waren und unsere jeweiligen Angehörigen wiedergefunden hatten, hatte er wohl erwartet, dass sich unsere Wege trennen würden.
»Ich
hoffe
jedenfalls, dass wir bei euch bleiben«, sagte ich.
»Ich auch.«
Ich trat näher an ihn heran, spürte, wie seine Arme sich um mich schlossen, wie sein Griff fester wurde … Und endlich berührten sich unsere Lippen …
»Derek?«, hörte ich Mr. Baes Stimme rufen. »Chloe?«
Derek stieß ein Knurren aus. Ich lachte und machte mich los.
»Irgendwie kommt immer was dazwischen, was?«, merkte ich an.
»Zu oft. Nach dem Essen machen wir einen Spaziergang. Einen langen Spaziergang. Weit weg von jeder möglichen Unterbrechung.«
Ich grinste. »Hört sich gut an.«
Zunächst allerdings erzählte uns Mr. Bae, was
er
vorhatte. Während wir Pizza aßen, bestätigte er, was ich schon vermutet hatte – dass wir schon wieder auf der Flucht waren, dieses Mal vor der Kabale.
»Alles, was wir getan haben, da im Labor … es hat also überhaupt nichts bewirkt?«, fragte ich.
»Hat wahrscheinlich nur die Kabale geärgert«, murmelte Tori.
»Nein, es hat durchaus geholfen«, sagte Mr. Bae. »Die Edison Group wird sich davon in absehbarer Zeit nicht erholen, und die Kabale wird eine Weile brauchen, um sich einen Überblick über die Lage zu verschaffen und um dann eine Suche zu organisieren. Glücklicherweise
ist
es eine Kabale, was bedeutet, dass die noch eine Menge anderer Dinge zu erledigen haben, und wir werden auf der Liste nicht ganz oben stehen. Ihr seid wertvoll, und sie werden euch zurückhaben wollen, aber wir haben wieder ein bisschen Raum zum Atmen.« Er warf meiner Tante einen Blick zu. »Lauren? Ein Leben auf der Flucht ist wahrscheinlich nicht gerade das, was Sie sich vorgestellt haben, aber ich würde dringend empfehlen, dass Sie und Chloe mit uns kommen. Wir sollten zusammenbleiben.«
Derek sah mich an, angespannt, als bereitete er bereits seine Argumente vor für den Fall, dass Tante Lauren widersprach. Als sie stattdessen sagte: »Das wird wohl das Beste sein«, entspannte er sich wieder. Ich tat es ebenfalls. Simon grinste und zeigte mir den erhobenen Daumen. Ich sah zu Tori hinüber. Sie saß ganz still da, das Gesicht verschlossen, ohne den geringsten Hinweis darauf, was sie dachte.
»Und Tori kommt auch mit, oder?«, fragte
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