Hoellenpforte
»Willst du mir erzählen, wie es dir ergangen ist?«, fragte er. »Als Erstes wüsste ich gerne, wo wir sind. Weißt du es?«
Sie nickte. »Der Vorsitzende war hier…«
»Wer ist der Vorsitzende?«
»So ein Schleimer im Anzug.«
»Ich glaube, dem bin ich schon begegnet.«
»Er musste unbedingt herkommen und mich verhöhnen«, fuhr Scarlett fort. »Er hat mir erzählt, dass du auf dem Weg hierher bist, aber ich habe gehofft, dass er lügt. Das hier ist ein altes Gefängnis mitten in Hongkong. Es stammt noch aus der Zeit von Königin Viktoria.«
»Wann bringen die uns das Frühstück?«
»Gar nicht. Es gibt einmal am Tag Brot und kalte Suppe.« Matt senkte die Stimme. »Mit etwas Glück werden wir nicht mehr so lange hier sein«, sagte er. Das war alles, was er zu sagen wagte, aber trotzdem hatte Scarlett wieder einen Funken Hoffnung. »Ich war übrigens bei dir zu Hause in Dulwich«, erzählte er, um das Thema zu wechseln.
»Warst du das in dem Auto? Da war ein Unfall…« »Das war kein Unfall.«
»Ich wusste, dass du es sein musstest«, sagte Scarlett. »Die haben das alles sehr gut geplant, nicht wahr? Mich zu benutzen, um dich herzulocken. Waren noch welche von den anderen bei dir?«
Matt nickte kurz und Scarlett verstand. Sie mussten beide vorsichtig sein mit dem, was sie sagten. Sie sah ihn an, als sähe sie ihn zum ersten und letzten Mal. »Ich kann nicht fassen, dass du hier bist. Dass ich wirklich mit dir rede. Weißt du, ich habe sogar von dir geträumt.«
»Das ist ganz normal«, sagte Matt. »Wir träumen alle voneinander. So funktioniert das eben.«
»Es gibt so vieles, was ich nicht verstehe.«
»Willkommen im Club.«
Sie holte tief Atem. »Ich weiß gar nicht, wo meine Geschichte überhaupt anfängt, aber ich schätze, ich sollte mit St. Meredith beginnen.«
Sie erzählte ihm alles – knapp und ohne Emotionen. Noch während sie sprach, wusste Matt, dass er sie mögen würde. Sie hatte so viel durchgemacht und in gewisser Weise erinnerten ihn ihre Erlebnisse an das, was er in Lesser Malling erlebt hatte. Genau wie er war sie in etwas hineingeraten, was eigentlich unvorstellbar war. Aber sie war damit fertig geworden. Man hatte sie hergebracht und sie saß schon seit drei Tagen in diesem Raum. Trotzdem hatte sie nicht aufgegeben. Sie war bereit zu kämpfen.
Als sie aufhörte zu sprechen, kam es Matt einen Moment lang so vor, als würde das Gebäude beben, als würde so etwas wie eine Schockwelle durch die Mauern fahren. Scarlett schaute erschrocken auf. Ein Teil von ihr wusste, was da geschah, und hatte sogar damit gerechnet.
»Was…?«, begann Matt.
»Es ist nichts.« Das sagte sie so hastig, als wollte sie nicht darüber reden – und sich auch nicht vorstellen, was da draußen vor sich ging. »Erzähl mir von dir«, fuhr sie schnell fort. »Erzähl mir, wie du hergekommen bist. Bist du durch den Tempel gegangen? Da warten nämlich ihre Leute auf dich. Sie dachten, dass du eine der Türen benutzen würdest.«
»Hab ich aber nicht…«
Er erzählte ihr seine eigene Geschichte oder zumindest den Teil seit seiner Abreise aus Peru. Es hätte zu lange gedauert, ihr alles zu erzählen, außerdem befürchtete er immer noch, dass sie abgehört wurden. Von Nazca nach London und weiter nach Macau… Es war eine lange Reise gewesen und erst jetzt erkannten beide, wie nah sie sich gewesen waren.
Matt beendete seinen Bericht damit, wie er nach Wisdom Court gefunden hatte. Dies war der schwierigste Teil. Er hatte Scarletts Vater sterben sehen und war zumindest zum Teil dafür verantwortlich. Wie sollte er ihr das beibringen?
Aber sie war ihm schon voraus. »Das Sweatshirt, das du trägst«, sagte sie. »Das ist seins.«
»Ja«, bestätigte Matt.
»Wo ist er jetzt?« Als Matt nicht antwortete, fuhr sie fort: »Die haben ihn umgebracht, richtig?«
Matt nickte. Er wollte nicht mehr an das denken, was sich in den letzten Momenten ereignet hatte, bevor er aus Wisdom Court geschleift wurde.
Scarlett verzog keine Miene, aber sie hatte plötzlich Tränen in den Augen. »Es war alles seine Schuld«, sagte sie. »Er dachte, er könnte einen Handel mit diesen Leuten machen. Mit den Alten. Aber wenn er nicht gewesen wäre, hätten die mich nie gekriegt.« Sie verstummte kurz. »Ich weiß nicht, Matt. Ich glaube, die gehen immer so vor. Sie bringen normale Leute dazu, dass sie böse Dinge für sie tun. Sie haben ihn benutzt. Er hat wirklich geglaubt, dass er mir hilft. Und jetzt hat er dich
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