Hoellenpforte
Nähe der Tür kam. Die Leute im Tempel waren alle mit Pistolen und Messern bewaffnet, die sie unter ihrer Kleidung verborgen hatten. Sie standen ständig in Verbindung mit ›The Nail‹ und konnten jederzeit Verstärkung anfordern.
Das war der Hinterhalt, mit dem Matt gerechnet hatte. Genau aus diesem Grund hatte er sich geweigert, die Abkürzung nach Hongkong zu nehmen. Und seine Entscheidung war richtig gewesen.
Die fünfzehn standen da, murmelten Gebete, die ihnen nichts bedeuteten, und verbeugten sich vor Göttern, die sie nicht respektierten. Draußen peitschten Sturmböen, die von Minute zu Minute stärker wurden, gegen die Tempelwände und hämmerten auf sie ein, als wollten sie sie durchbrechen. Sie rissen Grasbüschel und Erde hoch und heulten um die Ecken. Eine Fliese rutschte vom Dach und zerplatzte auf dem Boden. Kurz darauf löste sich ein Fensterladen und wurde sofort davongerissen. Der Regen, prasselte jetzt nahezu gegen das Gebäude. Der Verkehr auf der Straße war zum Erliegen gekommen, weil die Fahrer nichts mehr sehen konnten. Es gab nichts, was sie tun konnten.
Der Wind fuhr in den Tempel und die Flammen im Tempelofen beugten sich, flackerten und waren plötzlich erloschen. Keiner der Leute im Tempel bemerkte es. Sie konzentrierten sich nur auf die Tür. Deswegen waren sie da. Sie ignorierten den Sturm und warteten darauf, dass der erste Torhüter durchkam.
Signal vier
Scarlett hatte sich an einen dunklen Ort tief in ihrem Innern zurückgezogen. Aber plötzlich stieß jemand sie an und versuchte, sie ins Licht zurückzuzerren. Unwillig machte sie die Augen auf und stellte fest, dass es ein Junge war, der sie wach gerüttelt hatte. Sie erkannte ihn sofort. Die Tatsache, dass er bei ihr war – mit blauen Flecken im Gesicht –, konnte nur eines bedeuten, und das war nichts Gutes. Er war ihretwegen hier. Die Alten mussten ihn irgendwie nach Hongkong gelockt haben und jetzt waren sie beide Gefangene. Eine Welle der Wut und Verbitterung drohte sie zu überwältigen. Sie war gegen ihren Willen in diese Sache hineingezogen worden und jetzt schien schon alles vorbei zu sein. Sie hatte nie eine Chance gehabt.
»Matt…«, sagte sie.
Wenigstens waren sie zusammen, auch wenn sie sich ihre erste Begegnung anders vorgestellt hatten. Scarlett setzte sich auf und rieb sich die Augen. Sie hatten ihr zwar ihre eigenen Sachen wiedergegeben, aber das kurz geschorene Haar fühlte sich immer noch ungewohnt an. Wenigstens war sie die Kontaktlinsen los. Sie hatte sie sofort herausgenommen, als sie einen Moment allein gewesen war.
»Bist du in Ordnung?«, fragte Matt.
»Nein.« Sie hörte sich elend an. »Wie lange habe ich geschlafen?«
»Keine Ahnung. Die haben mich erst vor einer Stunde hergebracht.«
»Wann war das?«
»Ungefähr um acht.«
»Morgens oder abends?«
»Morgens.«
Matt sah sich um. Sie waren in einem kahlen, fensterlosen Raum mit gemauerten Wänden und einem Betonboden. Das einzige Licht kam von einer vergitterten Glühbirne. Als die schwere Stahltür hinter ihm zugeschlagen war, hatte er gegen einen Anflug von Platzangst kämpfen müssen. Sie befanden sich tief unter der Erde. Die Polizisten, die ihn hergebracht hatten, hatten ihn gezwungen, vier Treppen hinunterzusteigen und dann einen Korridor entlangzugehen, der aussah wie ein Tunnel. Ganz normale Polizisten. Dieselben, die ihn auch verhaftet hatten. Es sah so aus, als hätten die Gestaltwechsler, die Fliegensoldaten und all die anderen Kreaturen der Alten Hongkong verlassen. Er fragte sich, wieso.
Trotz allem war er erleichtert, dass er Scarlett gefunden hatte. Sie sah ganz anders aus als auf dem Foto in der Zeitung. Er konnte sich nicht vorstellen, wie sie es ertragen hatte, ganz allein hier unten zu sitzen.
»Warum bist du hier?«, fragte Scarlett, die es immer noch nicht schaffte, die Enttäuschung aus ihrer Stimme zu verbannen.
»Ich bin wegen dir gekommen«, sagte Matt. Er hätte ihr gern mehr erzählt, wagte es aber nicht. Es war durchaus möglich, dass sie abgehört wurden.
»Das hättest du lieber sein lassen sollen. Ich habe alles verdorben. Ich wäre entkommen, wenn ich nicht…« Scarlett brach ab. Sie brachte es nicht über sich, von dem letzten Treffen mit ihrem Vater zu erzählen.
Matt setzte sich neben sie, Schulter an Schulter mit ihr, die Beine auf dem Boden ausgestreckt. An der Art, wie er sich bewegte, konnte sie erkennen, dass sie ihm sehr wehgetan hatten. Er sah blass und erschöpft aus.
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