Hoellenpforte
anderen Torhüter in eine Falle zu locken. Wir werden einen nach dem anderen in die Nekropole bringen, und sobald wir alle fünf haben, werden wir sie getrennt einsperren, foltern und bis ans Ende der Zeiten am Leben erhalten.
Alles ist bereit. Die Torhüter haben keine Vorstellung, wie stark wir sind oder wie weit unsere Vorbereitungen gediehen sind. Unsere Augen sind überall, auf der ganzen Welt, und schon bald wird die Schlacht beginnen.
Wir müssen nur das Mädchen finden.
La sakkath. Lak sakkakh. La sah xul.
RETTUNG IN LETZTER SEKUNDE
Das Mädchen schaute nicht, bevor es die Straße überquerte. Das sagte der Fahrer später aus. Sie hatte nicht nach links und rechts gesehen. Sie hatte auf der anderen Straßenseite einen Freund entdeckt und war einfach losgelaufen, ohne zu merken, dass die Ampel wieder grün war, und ohne daran zu denken, wie viel Verkehr auf dieser Kreuzung herrschte und dass um vier Uhr nachmittags alle Leute schnell von der Arbeit nach Hause kommen wollten. Das Mädchen lief einfach los, ohne nachzudenken. Es warf nicht einmal einen Blick auf den weißen Lieferwagen, der mit fast achtzig Sachen heranraste.
Das war typisch für Scarlett Adams. Sie hatte schon immer zu den Leuten gehört, die erst handeln und dann nachdenken – wenn es längst zu spät ist. Der Hockeyball, den sie über das Schulgebäude hatte schlagen wollen, der aber ausgerechnet ins Fenster der Schulleiterin geflogen war. Der Hausmeister, den sie voll angekleidet in den Swimmingpool geschubst hatte. Es wäre cleverer gewesen, zuerst herauszufinden, ob er schwimmen kann. Der 20-Meter-Baum, auf den sie geklettert war, nur um dann zu merken, dass sie nicht wieder hinunterkam. Zum Glück war man an ihrer Schule nachsichtig. Es half, dass Scarlett allgemein beliebt war und dass die meisten Lehrer sie mochten. Und auch wenn sie keine Musterschülerin war, gehörte sie doch nicht zu den Schlusslichtern ihrer Klasse. Richtig gut war sie in Sport. Sie war Kapitän der Hockeymannschaft (trotz der gelegentlichen Fehlschläge), eine starke Tennisspielerin und bei den Sommerwettkämpfen war sie in Leichtathletik immer die Beste. Einer Schülerin die die Trophäen holt, macht keine Schule zu viel Ärger, und Scarlett hatte ihrer Schule schon eine ganze Sammlung eingebracht.
Ihre Schule hieß St. Genevieve und von außen betrachtet hätte sie genauso gut ein vornehmer Herrensitz oder vielleicht ein Privathospital für die Superreichen sein können. Sie stand auf einem großen Grundstück, ein paar Meter von der Straße entfernt, war von Efeu überwuchert und hatte einen Glockenturm auf dem Dach.
St. Genevieve war eine Privatschule, eine der vielen, die sich im Zentrum von Dulwich im Londoner Süden zusammendrängten. Dulwich war ein merkwürdiger Stadtteil: Im Westen lag Streatham und im Osten Sydenham, beides Viertel mit Hochhäusern, Drogen- und Gewaltkriminalität. Aber in Dulwich war alles grün. Hier gab es altmodische Teestuben und an den Laternenpfählen hingen Blumenkörbe. Die meisten Autos waren Geländewagen und die Mütter, die sie fuhren, sprachen sich alle mit dem Vornamen an.
Scarlett war auf den ersten Blick anzusehen, dass sie nicht in England geboren worden war. Ihre Eltern mochten zwar typische Bewohner von Dulwich sein – ihre Mutter groß, blond und schick, ihr Vater ein Rechtsanwalt mit ergrautem Haar, einem rundlichen Gesicht und einer Brille –, aber sie sah ihnen kein bisschen ähnlich. Scarlett hatte lange schwarze Haare, merkwürdig braun-grüne Augen und die hellbraune Haut eines Mädchens, das aus China, Hongkong oder einem anderen Teil Ostasiens stammte. Sie war klein und schlank und ihr strahlendes Lächeln hatte sie schon aus so mancher peinlichen Lage gerettet.
Sie war nicht die richtige Tochter der Adams. Das wusste jeder.
Auch sie hatte es schon von frühester Kindheit an gewusst. Sie war adoptiert. Paul und Vanessa Adams konnten keine eigenen Kinder bekommen und hatten sie in einem Waisenhaus in Jakarta entdeckt. Niemand wusste, wie sie dorthin gekommen war. Niemand kannte ihre leibliche Mutter. Scarlett versuchte, möglichst nicht an ihre Vergangenheit zu denken und daran, woher sie kam, aber sie fragte sich doch öfter, was passiert wäre, wenn das Paar, das den weiten Weg aus London gekommen war, das Baby in Bett sieben oder neun genommen hätte statt das in Bett acht. Würde sie dann jetzt irgendwo in Indonesien Reis pflanzen oder in einem Ausbeuterbetrieb Nike-Turnschuhe
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