Zwergenkinder 3
Schlangenköpfe und Zwergenmagie
D as Schiff schaukelte ohne Unterlass.
Tomli hielt sich mit beiden Händen an der Reling fest und murmelte eine magische Formel gegen die Seekrankheit, die ihn peinigte. Er stammte aus Ara-Duun, einer zum Großteil unterirdisch gelegenen Zwergenstadt inmitten der heißen Wüste der Sandlande. Das Meer war ihm daher völlig fremd. Er konnte sich einfach nicht daran gewöhnen, keinen festen Boden unter den Füßen zu haben.
Er blinzelte. Die Sonne brannte vom Himmel, dennoch blähte ein kräftiger Wind die Segel der »Sturmbezwinger«. Die Rufe der Seeleute vermischten sich mit dem Brausen und Pfeifen des Windes. Gischt spritzte Tomli ins Gesicht. Wenn wir nur endlich am Ziel wären! , ging es ihm durch den Kopf.
Tomli war der Lehrling eines Zwergenzauberers. Mit den Fingerspitzen berührte er den Zauberstab, den er sich hinter den Gürtel gesteckt hatte, und bekämpfte die erneut aufkommende Übelkeit wieder mit Magie. Diese Magie konnte zwar nicht dafür sorgen, dass er sich auf dem Schiff richtig wohlfühlte, aber immerhin vertrieb sie die Seekrankheit zumindest zeitweise. Die Wirkung war auf jeden Fall besser als die der Heilkräuter, die ihm sein elbischer Gefährte Lirandil empfohlen hatte.
Auf einmal spürte Tomli, dass da noch etwas war.
»Jemand!« , durchfuhr es ihn siedend heiß. Irgendein Wesen, und es befand sich ebenso in der Luft, die er atmete, wie auch in den hohen Wellen des Meeres. Tomli spürte, dass es da war, auch wenn er es noch nicht sehen oder hören konnte.
Die Gewässer am Kap von Hiros, wo sich das Südmeer und das Pereanische Meer trafen, waren bekannt für geisterhafte Erscheinungen aller Art. Hier bildeten sich viele Strudel, und die Elementargeister waren in ständigem Aufruhr. Im Hafen von Teban hatte man Tomli und seine Gefährten vor diesen Gewässern gewarnt.
Eine Welle hob sich plötzlich höher als die anderen empor. Darauf bildete sich eine Schaumkrone, obwohl das Meer am Kap von Hiros sehr tief war, sodass sich die Welle unmöglich brechen konnte.
Eine Wassersäule entstand, die sich hoch in den Himmel schraubte, und ein ohrenbetäubendes Brausen übertönte jeden anderen Laut. Es klang wie eine Mischung aus einem tosenden Sturm und dem Fauchen eines wilden Tieres. Die aufgeregten Rufe der Seeleute gingen darin unter.
Tomli rief nach seinem Zaubermeister Saradul, der unter Deck war, denn auch ihm setzte die Seekrankheit schwer zu. Doch er rief ihn nicht mit seiner Stimme, sondern mit der Kraft seines Geistes. » Meister hilf mir!« , sandte er einen Gedanken, den er magisch verstärkte, damit Meister Saradul ihn auch wahrnahm.
Die Wassersäule nahm eine neue Form an und bildete einen gewaltigen Schlangenkopf aus. Das Wasser musste mit Magie aufgeladen sein, denn es verhielt sich gegen alle Naturgesetze und wirkte fast wie aus Glas. Jener unheimliche Geist, den Tomli zuvor schon dunkel erahnt hatte, formte das Wasser offenbar ganz so, wie es ihm beliebte.
Die Seeleute versuchten, das Schiff von der Angst einflößenden Kreatur fortzulenken, die sich immer weiter aus den Wellen reckte. Aber es gelang ihnen nicht, das Segel flatterte immerzu wild hin und her. Nicht nur das Wasser, auch die Winde wurden von der fremden Magie beeinflusst, denn sie bliesen gleichzeitig aus unterschiedlichen Richtungen. Der Steuermann war vollkommen hilflos.
Das Maul des aus Wasser geformten Geschöpfs öffnete sich. Es war so groß, dass die »Sturmbezwinger« vom Kiel bis zur Mastspitze darin Platz gehabt hätte.
Zähne aus erstarrtem Wasser bildeten sich, und Augen leuchteten so grell auf, als würde man geradewegs in die Sonne sehen, sodass Tomli schützend die Hand hob, um nicht geblendet zu werden. Das Schiff drehte sich seitwärts, so als wäre es in einen Strudel geraten. Ein Sog entstand, denn das Wesen zog immer mehr Wasser zu sich heran, das seinen Körper weiter anwachsen ließ. Arme formten sich und Dutzende von Hälsen, an deren Enden sich ebenfalls schlangenähnliche Köpfe befanden, nur waren sie kleiner als das eigentliche Haupt des Wassermonsters.
Das Schiff trudelte unaufhaltsam auf das immer gewaltiger werdende Wesen zu und drehte sich dabei immer schneller. Der Mast ächzte. Es war beinahe unmöglich, an Deck nicht den Halt zu verlieren. Tomli klammerte sich an die Reling. Aus den Augenwinkeln sah er, wie der Zentaur Ambaros mit seinem pferdeartigen Unterkörper übers Deck rutschte. Für dieses Mischwesen aus Pferd und Mensch war es
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