Hoerig
zuviel, am Ende wurde aus Information Konfusion. Wer zuviel redet, denkt nicht mehr über das nach, was er sagt, hast du einmal gesagt, als es um deinen Beruf ging, täglich für eine Tageszeitung zu schreiben sei ein bißchen wie besoffen Autofahren, hast du gesagt, und daß Journalisten aufgrund des Termindrucks und des Zwangs, möglichst viel zu produzieren, oft Fehler machen, und daß du jeden Abend wichst, hast du gesagt, und daß du im Journal einen Artikel über Cyberporno veröffentlicht hast, ausführlich recherchiert und bebildert, wofür du dir hunderte Pornofotos ansehen mußtest, und daß du jetzt einen Roman darüber schreiben willst, und ich dachte, schon wieder einer, der einen Roman schreiben will.
Ich habe nichts gesagt, weil die Jahre der Prostitution mich gelehrt haben zu schweigen angesichts überlegener Stärke. Es ist allgemein bekannt, daß wir im Zeitalter der Kommunikation leben, das heißt, daß jeder die Chance hat, sich auf die Neuheiten aus dem Web, den letzte Schrei der Barbarei, auf Schlitze unter den Achseln oder zehnjährige Mädchen, die sich zu Tode lutschen, einen runterzuholen. Ich habe dich in dem Moment nicht richtig verstanden, weil dein französischer Akzent mich taub machte für das, was du gesagt hast.
Es ist auch etwas ganz anderes, ob man jemanden reden hört oder ob man ihn machen sieht. Als du mir an diesem ersten Abend mit deinem französischen Akzent erzählt hast, wie viele Jahre du durchs Web gesurft bist, um alles über Cyberporno zu erfahren, blieb das für mich abstrakt. Der redet nur so daher, dachte ich, Berufskrank-heit wahrscheinlich, stumpfsinnige Journalistenroutine und daraus erwachsender Lebensekel, ich dachte nicht an eine Manie oder gar eine Mission.
Als ich dich zum ersten Mal vor dem Computer wichsen sah – du hast angespannt auf den Bildschirm gestarrt, wo eine sehr junge Brünette sich mit einem Schwanz abmühte, der in ihrem kleinen Mund noch riesenhafter erschien, du hattest mich geweckt durch deine Freuden-laute bei dem Gedanken, das in dem Mund sei dein Schwanz –, war ich untröstlich über meine Liebe zu dir.
Du hattest mich ja von Anfang an gewarnt, ich hätte es schon im Nova wissen können. So sehe ich dich vor mir: an deinem Computer, vor den Pornoseiten der ganzen Welt, dreimal täglich wichsend, geil von der Parade rasierter Mösen, die dich in eine Welt einladen, in der du nur noch dich selber liebst, mit deiner Linken, weil du die Rechte für die Maus brauchst, um von Mädchen zu Mädchen zu hüpfen, die vielleicht auch schon tot sind, wer weiß.
E S gab eine Zeit, wo wir nur füreinander lebten und die Gegenwart anderer als störend empfanden. Deine Katze wurde davon krank, sie hat wochenlang nichts gefressen, dann fiel ihr das Fell in Placken aus. Deine Mitbewohnerin Martine, die sie füttern sollte, wenn du nicht da warst, hat dich dafür verantwortlich gemacht und vorwurfsvolle Briefchen an deine Zimmertür geklebt, worauf du die Katze zu mir mitnahmst.
Damals haben wir spaßeshalber ausprobiert, wie lang wir es ohne einander aushalten konnten, ehe die Panik kam, wir zählten die Stunden vor dem Hilferuf wie andere die Minuten, die sie ohne zu atmen auf dem Grund eines Schwimmbeckens verweilen können. Grob gerechnet hat es vier Stunden gedauert, bis du anriefst, wenn jeder in seiner eigenen Wohnung war. Du hast immer zuerst angerufen, kann ich mich erinnern, doch ich habe beim ersten Mal nie reagiert, sondern erst beim zweiten Anruf abgenommen und dann auch nicht beim ersten Klingeln. Zwischen dem ersten und dem zweiten Anruf vergingen nie mehr als zehn Minuten, kann ich mich erinnern, und wenn ich dranging, war deine Stimme vor Sorge ganz brüchig. Deine Sorge war mir ein Trost, ich glaubte damals, daß ich auch nach dreißig weiterleben könnte.
Doch mit der Zeit konntest du mich immer länger ent-behren, in regelmäßigen Abständen verdoppelte sich die Frist bis zur Panikgrenze, nach zwei Monaten waren es zwölf Stunden, nach drei Monaten vierundzwanzig, und am Ende wolltest du mich nur noch ab und zu sehen, alle drei Wochen ungefähr.
Drei oder vier Monate haben wir uns geliebt, heutzutage ist ja für alles immer weniger Zeit, auch für die Liebe.
Dabei leben wir doch anscheinend in einer Ära der Liebe, die Modezeitschriften sind voll davon, das Tarot meiner Tante spricht von nichts anderem, Liebe quillt aus den Kleinanzeigen, sie wird von Ärzten verschrieben, es gibt ein Recht auf Liebe, für das die
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