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Hoffnung Blaue Seiten (German Edition)

Hoffnung Blaue Seiten (German Edition)

Titel: Hoffnung Blaue Seiten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jannis Plastargias
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»Stehaufältere«, »Poglanz« oder »fesselfun«, der übrigens »coole Prolls und Fesslfans für Fun« sucht, was immer das heißen mag. Andere halten Ausschau nach »Only muscular and athletic guys!!!«, andere warnen: »no pic = no answer, keine tunten, kinder, opas KEINE UNTERWÄSCHESCHNÜFFLER, TG-Angebote und sonstige Spinner.« Andere annoncieren: »Nette junx bitte melden – cooles date gesucht … ach, und noch was: Sex ohne Knutschen ist wie Atmen ohne Luft …« Wieder andere preisen an: »Ficken = Du + Ich! So einfach ist die Rechnung«, »Pissloch6« ist eine »geile Sau und offen für dreckige Vorschläge«, ein anderer ist besonders lustig und erfindet folgenden Spruch: »Suchst du noch oder fickst du schon?« und einer sucht einen »reifen Daddy für Sex, bin passiv und liebe es richtig genommen zu werden!!!«, womit wohl Männer in meinem Alter angesprochen werden sollen. Deswegen schaue ich mir das Profil des jungen Mannes näher an, der sich »seeking4daddy« nennt, 25 Jahre alt ist, 183 cm groß und 81 Kg schwer, athletisch, Europäer, er hat mittellange, schwarze Haare, braune Augen, bisexuell ist er und hat einen unbeschnittenen Penis in M-Größe, was auch immer das bedeuten mag, und Daddys ab 40 können gerne neue »pics« von seinem »Schwanz«, allerdings keine »face-pics« erhalten, schreibt er in seinem Profil, von dem man meiner Meinung nach viel zu viel erfährt.
     
    Ich bin nun 53 Jahre alt oder jung, je nachdem, wie man es sehen möchte. In meiner Welt bin ich nicht alt, eher fühle ich mich wie ein schutzloses Kind, das nicht erwachsen werden möchte, auch nicht nach all diesen vielen Jahren, bedingt selbstverständlich durch diese Ängste, diese schreckliche psychische Störung. Ich sehe für mein Alter wohl noch ganz gut aus, obwohl ich außer ein paar Liegestützen und ein wenig Hanteltraining keinen Sport treibe. Wie denn auch, da müsste ich ja vor meine Tür gehen. Oft habe ich mir überlegt, mir einen Cross-Trainer für zuhause anzuschaffen, doch aus ästhetischen Gründen ließ ich es bisher immer sein, so ein Gerät passt so wenig zu meiner geschmackvollen, antiken Einrichtung.
     
    Diese Blauen Seiten überfordern mich, diese vielen Menschen, deren Profile ich anschaue, die vielen Bilder, teilweise nur die Geschlechtsteile, oft aber aufwändige, wahrscheinlich von einem professionellen Fotografen, gemachte Fotos, die den »Marktwert« erhöhen sollen. Auch in der Liebe leben wir in einer Leistungsgesellschaft. All die Daten, Körpergrößen, Augen- und Haarfarben, all die äußeren Merkmale, die einen Menschen oberflächlich von anderen unterscheiden, aber auch Charaktereigenschaften, Vorlieben, insbesondere sexueller Art. All die Texte, in denen sich Männer ihre Wünsche und Hoffnungen von der Seele reden, die sich wie Szenen aus kitschigen Filmen anhören: »Ich möchte mit dir händchenhaltend gen Sonnenuntergang laufen, unter unseren Füßen rieselt der Sand, das Meer rauscht, ein Hund wuselt um uns herum und wir lächeln glücklich um die Wette …«, »Meine Sorgen möchte ich in deiner Anwesenheit vergessen, mich an dich schmiegen, romantische alte Filme anschauen, dabei ganz viel Eis essen, es am besten von dir abschlecken …«, »Möchte Sonntagvormittage mit dir im Bett verbringen, zuerst unser leckeres Frühstück vernaschen und dann dich …«. All die heischenden, für die eigene Person werbenden Statusmeldungen wie »Ich weiß, was Du brauchst, bei mir sollst du es gut haben – ist er zu groß, bist Du zu klein«, was auch immer diese Zusammenstellung an Logik bieten mag, oder noch versauter: »Wer will mir die Eier lang ziehen und den Arsch aufreißen? Sklavensau braucht mal wieder Züchtigung (cbt/ff/bondage und andere Gemeinheiten)« – alles Abkürzungen und Praktiken, die mir so gar nichts sagen bzw. nicht zusagen.
     
    Diese Blauen Seiten überfordern mich, weil plötzlich so viele verschiedene Nachrichten auf einmal eintreffen, weil ich »angechattet« werde, mich gezwungen fühle, zu antworten. Besonders hartnäckig ist dabei »Filigranlover«, der in meinem Alter ist und ebenso wenig Fotos von sich eingestellt hat. Es befalle ihn Angst, wenn er sich vorstelle, dass Nachbarn ihn hier sehen könnten und sich daraufhin weniger distanziert ihm gegenüber verhielten, mit dem sicheren Wissen, einen »Gleichgesinnten« in der Nachbarschaft zu haben, allerdings seine dringend benötigte Anonymität missachtend, ihm wissende, wohlmeinende Blicke

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