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Hohlbein Wolfgang - Die Chronik der Unsterblichen 1

Hohlbein Wolfgang - Die Chronik der Unsterblichen 1

Titel: Hohlbein Wolfgang - Die Chronik der Unsterblichen 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Am Abgrund
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trotzdem nicht. Der Junge brauchte vor allem Zeit, um das Erlebte zu verarbeiten, und Schlaf half, die Zeit zu verkürzen.
    Er wünschte, er wäre auch so glücklich dran gewesen. Nachdem Raqi und seine Tochter gestorben waren, hatte er geglaubt, nichts könnte ihn mehr erschüttern. Das war ein Irrtum gewesen. Es gab immer eine Steigerung des Grauens, und er hatte gestern eine erlebt: Der Tod seines Sohnes hatte die Wand seiner betäubenden Trauer eingerissen und ein so tiefes Entsetzen in ihm ausgelöst, daß er sich am liebsten gleich in sein Schwert gestürzt hätte.
    Aber bevor er solch selbstzerstörerische Gedanken weiter verfolgte, hatte er noch eine Kleinigkeit zu erledigen.
Sie rasteten auf einer Waldlichtung, aßen von den mitgebrachten Vorräten und tranken Wasser aus einem Bach. Und sie mieden vor allem die Nähe menschlicher Ansiedlungen. Solange er nicht wußte, was in Borsã wirklich geschehen war, konnte er keinem Menschen trauen.
In der zweiten Nacht schlief Frederic besser. Er wurde noch immer von Alpträumen geplagt und schrak mehr als einmal schreiend hoch, aber dazwischen gab es auch Phasen, in denen er vollkommen ruhig dalag und schlief. Einmal wenn auch nur für einen flüchtigen Moment - glaubte Andrej sogar die Andeutung eines Lächelns auf seinem Gesicht zu erkennen.
Während er den schlafenden Jungen betrachtete, überkam ihn ein Gefühl von sonderbarer Vertrautheit, ja, fast Zärtlichkeit. Das Schicksal hatte ihm einen Sohn genommen, einen Jungen, den er kaum gekannt aber nichtsdestoweniger geliebt hatte. Doch im gleichen Moment hatte ihm das Schicksal einen Sohn geschenkt - keinen leiblichen zwar, aber vielleicht einen, mit dem er so vertraut werden konnte, wie Michail nach einigen Jahren mit ihm vertraut gewesen war. Wenn das Leben einen Sinn hatte, hatte Raqi einmal gesagt, so den, es weiterzugeben. Wozu für eine bessere Welt kämpfen, wenn es
niemanden gab, der darin leben konnte? Nun, jetzt hatte er jemanden.
Andrej verscheuchte den Gedanken. Er war melancholisch. Und er war ganz eindeutig nicht in der Verfassung, über so etwas nachzudenken. Außerdem war es mehr als ungewiß, ob er und Frederic mehr als ein paar Tage zusammenblieben.
Sie hatten noch eine Stunde, bis die Sonne aufging, aber Andrej spürte, daß er ohnehin keinen Schlaf mehr finden würde. Er stand auf, ging ein paar Schritte und zog schließlich sein Schwert. Um auf andere Gedanken zu kommen, aber auch, um der Kälte zu trotzen, entfernte er sich etwas von dem Schlafenden und absolvierte ein paar Schwertübungen.
Am Anfang war er nicht gut, er spürte es selbst; seine Bewegungen waren steif und ungelenk. Es war Wochen her, daß er das letzte Mal mit der Waffe geübt hatte, aber er hatte das Gefühl, als seien es schon Monate. Er brauchte lange, bis er spürte, wie seine gewohnte Geschmeidigkeit zurückkehrte, und noch länger, bis sich die noch viel wichtigere innere Ruhe und Ausgeglichenheit einstellte.
Er übte eine halbe Stunde, dann war er vollkommen außer Atem und am ganzen Leib in Schweiß gebadet, trotzdem aber wieder von einer Stärke und Kraft erfüllt, die er viel zu lange nicht mehr gespürt hatte.
Als er sein Schwert einsteckte und sich herumdrehte, hatte Frederic sich aufgesetzt und sah ihn an. Andrej wußte den Ausdruck auf seinem Gesicht nicht zu deuten, aber er war nicht ganz sicher, ob er ihm gefiel.
»Wie lange siehst du mir schon zu?«
»So habe ich noch nie jemanden kämpfen sehen«, sagte Frederic beinahe andächtig.
»Ich hab’ es von jemandem gelernt«, antwortete Andrej, »der in dieser Kunst in einer sehr fernen Stadt unterwiesen wurde.«
»In Rom?« fragte Frederic. »Oder in Venedig?«
»Oh nein«, antwortete Andrej. »Er erlernte es in einem Land, das viel weiter entfernt ist.«
»Weiter als Rom?« Frederic klang zweifelnd.
»Vielleicht wirst du es eines Tages einmal kennenlernen«, sagte Andrej achselzuckend. Dann machte er eine Handbewegung, mit der er das Thema abschloß. »Wenn du ohnehin schon wach bist, können wir auch weiterreiten.«
Frederic nickte, stand aber trotzdem nicht auf, sondern zog fröstelnd die dünne Decke, in die er sich zum Schlafen gewickelt hatte, enger um seinen Körper.
»Bringst du mir bei, so zu kämpfen?« fragte er.
Andrej sah ihn eine Sekunde lang schweigend an. »Wozu?« fragte er dann.
Frederic suchte nach einer Antwort, aber Andrej schnitt ihm mit einem Kopfschütteln das Wort ab, ging zu ihm und ließ sich neben den Jungen ins nasse Gras

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