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Hohlbein Wolfgang - Die Chronik der Unsterblichen 1

Hohlbein Wolfgang - Die Chronik der Unsterblichen 1

Titel: Hohlbein Wolfgang - Die Chronik der Unsterblichen 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Am Abgrund
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seine Wunden in Tagen, wo die Heilung bei anderen Wochen gebraucht hätte.«
»Barak war schon immer ein zäher Bursche«, antwortete Andrej. »Und es gibt Menschen, die sehr alt werden. Schon in der Bibel wird davon berichtet. Hat dir Bruder Toros nie von Methusalem erzählt?«
Frederic verneinte. Andrej bezweifelte, daß Bruder Toros jemals die Bibel gelesen hatte.
»Und da war noch … diese andere Geschichte«, sagte Frederic leise.
»Welche andere Geschichte?«
Frederic wand sich wie unter Schmerzen. »Niemand spricht laut darüber«, sagte er, »aber es heißt, daß vor vielen Jahren der Reliquienschrein aus der Kirche von Rotthurn entwendet wurde. Von einem Mann, der mit dem Bösen in Verbindung stand - dem Sohn eines Sarazenen, der sich unter dem falschen Namen Michail Nadasdy bei uns eingeschlichen hat.«
Andrej drehte sich rasch um, damit der Junge den entsetzten Ausdruck auf seinem Gesicht nicht sah. Es war unmöglich! Nicht solch ein Unsinn und nicht nach so langer Zeit!
»Was für ein … Unfug.« Er räusperte sich. Seine Gedanken rasten. »Ich kann verstehen, was du über Barak gedacht hast. Du bist jung, und er war schon immer ein komischer alter Kauz. Aber diese Geschichte … Das entbehrt jeder Grundlage!«
»Die Fremden haben es jedenfalls geglaubt. Sie haben alle gebunden und fortgebracht und … viele getötet.«
»Warum nur?« fragte Andrej. Er war noch immer zutiefst erschüttert. Es fiel ihm schwer, Frederics Worten überhaupt noch zu folgen. Hatte das Schicksal ihn nur hierher geführt, um ihm zu zeigen, daß er zum Todes
engel geworden war, der am Ende jedem den Untergang brachte, der seinen Weg kreuzte, selbst seinem eigenen Sohn?
»Ich weiß es nicht«, antwortete Frederic stockend. »Einer der goldenen Ritter hat die ausgewählt, die getötet werden sollten. Mein Vater und … und mein älterer Bruder waren auch dabei.«
»Das tut mir leid«, sagte Andrej leise. »Wirklich.«
Er versuchte seine Gedanken wieder in halbwegs klare Bahnen zu zwingen. Er hatte nicht das Recht, nicht nur alle Schuld, sondern auch allen Schmerz der Welt für sich allein zu beanspruchen. Dieser Junge hatte mehr durchgemacht als er, und in kürzerer Zeit. Außerdem war er ein unfreiwilliger Augenzeuge dieses furchtbaren Blutbades geworden. Und er hatte eindeutig Anspruch auf Hilfe.
Vielleicht hatte ihn das Schicksal ja gar nicht hierher gebracht, um ihn zu quälen …
»Nachdem es vorbei war«, fuhr Frederic mit brechender Stimme fort, »haben sie Barak in sein Zimmer gebracht. Ich konnte ihn schreien hören … Lange.«
Seine Stimme versagte. Er schluchzte ein einziges Mal auf, und es war auch nur eine einzige Träne, die über sein Gesicht lief, ehe er sie mit dem Handrücken fortwischte.
»Du mußt jetzt nicht fortfahren«, sagte Andrej leise. »Wir können später weiterreden. Oder auch gar nicht, wenn du möchtest.«
Frederic schüttelte den Kopf und schluckte die Tränen hinunter. »Nachdem sie gegangen waren und ich festgestellt habe, daß von den Gefolterten niemand mehr am Leben waren, bin ich ihnen gefolgt. Ich wollte wissen, wohin sie meine Mutter bringen und … und die anderen. Sie haben sie aneinander gebunden wie Tiere und dann aus dem Borsã-Tal getrieben.«
»Wohin?«
Frederic deutete nach Süden, auf die einzige Straße, die nach Borsã hinein und vom Dorf weg führte. »Ich bin ihnen ein Stück gefolgt. Nicht weit. Ich hatte Angst und wußte einfach nicht, was ich tun sollte. Ich wollte meine Mutter nicht im Stich lassen, wirklich, aber …«
»Es ist gut«, sagte Delãny. »Es war sehr klug von dir, ihnen nicht weiter zu folgen. Du hättest nichts für deine Familie tun können, und wahrscheinlich hätten sie dich am Ende auch noch gefangengenommen oder getötet.«
»Zum Schluß bin ich zurückgegangen«, fuhr Frederic im Flüsterton fort. »Ich wollte Barak und meinen Vater begraben, wenn meine Kraft schon nicht ausreichte, um sie alle zu bestatten. Aber Barak war noch am Leben, und so … habe ich gewartet.«
»Wie lange?«
»Einen Tag und eine Nacht und dann noch einmal fast einen ganzen Tag«, antwortete Frederic. »Ich habe gebetet, daß Gott Barak endlich von seinen Leiden erlösen möge, aber er hat es nicht getan. Das … das hast erst du getan.«
Andrej räusperte sich. War das Gespräch vorhin schon unangenehm gewesen, so wurde es jetzt geradezu quälend.
»Zwei Tage Vorsprung also.« Er blickte nach Süden. Es würde noch eine Stunde lang hell bleiben, vielleicht auch etwas länger,

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