Hohle Köpfe
die Stoppeln der Nacht.
Am vergangenen Abend hatte ein offizielles Essen stattgefunden. An den Anlaß entsann sich Mumm nicht mehr. Inzwischen schien er sein ganzes Leben mit solchen Dingen zu verbringen. Kokette, kichernde junge Frauen und wiehernde Burschen, die ganz hinten gestanden hatten, als Kinn und Rückgrat verteilt worden waren. Als Mumm anschließend durch die neblige Stadt zurückkehrte, brodelte wie üblich schlechte Laune in ihm.
Unter der Küchentür bemerkte er Licht, hörte lachende Stimmen und trat ein. Willikins saß am Tisch, zusammen mit dem Alten, der sich um den Heizkessel kümmerte, dem Chefgärtner und dem Jungen, der die Löffel reinigte und das Feuer schürte. Sie spielten Karten. Bierflaschen standen auf dem Tisch.
Mumm zog sich einen Stuhl heran, riß einige Witze und fragte, ob er mitspielen dürfte. Willikins und seine Freunde hießen ihn willkommen. Das heißt, sie wiesen seine Bitte nicht zurück. Doch während des Spiels spürte Mumm, wie sich das Universum um ihn herum kristallisierte. Er schien sich in ein Zahnrad zu verwandeln, das in einer gläsernen Uhr steckte. Niemand lachte. Willikins und die anderen nannten ihn »Herr« oder gar »Sir«. Sie alle waren sehr… vorsichtig.
Schließlich murmelte Mumm eine Entschuldigung und ging. Auf halbem Weg durch den Flur hörte er eine leise Bemerkung, gefolgt von… vielleicht einem ganz normalen leisen Lachen. Aber es hätte auch ein spöttisches Kichern sein können.
Das Rasiermesser umfuhr geschickt die Nase.
Ha! Vor einigen Jahren hätte jemand wie Willikins ihn nur sehr widerstrebend die Küche betreten lassen. Unter der Bedingung, daß er vorher die Stiefel auszog.
Das ist aus dir geworden, Kommandeur Sir Samuel Mumm. Für die besseren Le
u
te bist du ein Emporkömmling, alle anderen halten dich für einen feinen Pinkel.
Er betrachtete sein Spiegelbild, erneut bildeten sich Falten auf seiner Stirn.
Er kam aus der Gosse, zugegeben. Und jetzt bekam er drei warme Mahlzeiten pro Tag, hatte außerdem gute Stiefel, des Nachts ein warmes Bett und sogar eine Ehefrau. Die gute alte Sybil… Seit einiger Zeit sprach sie auffallend oft von Gardinen, aber Feldwebel Colon meinte, das passiere häufig mit Ehefrauen; es sei eine biologische Angelegenheit und daher völlig normal.
Eigentlich hatte Mumm seine alten, billigen Stiefel gemocht. Die Sohlen waren so dünn, daß er deutlich die Straße fühlte. Selbst in stockfinsterer Nacht hatte er stets seinen genauen Aufenthaltsort feststellen können – indem er mit den Zehen das Kopfsteinpflaster betastete. Ach, die gute alte Zeit…
Mumms Rasierspiegel war ein wenig ungewöhnlich. Durch die konvexe Form zeigte er mehr vom Zimmer als ein normaler Spiegel. Er gewährte einen guten Blick durchs Fenster, auf die Nebengebäude und Parkanlagen.
Hmm. Oben lichtete es sich immer mehr. Ja, der Haaransatz wich eindeutig zurück. Weniger zu kämmen, andererseits mehr Gesicht zu waschen…
Im Spiegel bewegte sich etwas.
Mumm neigte den Kopf zur Zeit und duckte sich.
Glas splitterte.
Jenseits der zerbrochenen Fensterscheibe entfernten sich eilige Schritte. Kurz darauf krachte es, und ein Schrei erklang.
Mumm richtete sich wieder auf. Er nahm den größten Splitter des Spiegels aus der Rasierschale und setzte ihn auf den schwarzen Armbrustbolzen, der jetzt in der Wand steckte.
Er rasierte sich auch die letzten Bartstoppeln ab.
Dann läutete er nach dem Diener. Willikins erschien wie aus dem Nichts. »Herr?«
Mumm spülte das Rasiermesser ab. »Bitte sag dem Jungen, daß er zum Glaser laufen soll.«
Der Blick des Dieners huschte kurz zum Fenster und zu den Resten des Spiegels. »Ja, Herr. Soll ich die Rechnung wieder der Assassinengilde schicken, Herr?«
»Zusammen mit meinen besten Grüßen. Und wenn der Junge schon mal unterwegs ist… kann er auch dem Laden im Fünf-und-Sieben-Hof einen Besuch abstatten und mir einen neuen Rasierspiegel besorgen. Der Zwerg dort kennt meine Vorlieben.«
»Ja, Herr. Und ich hole sofort Kehrschaufel und Bürste, Herr. Soll ich ihre Ladyschaft von dem jüngsten Zwischenfall unterrichten, Herr?«
»Nein. Sie meint immer, es sei meine Schuld. Angeblich ermutige ich die Gilde.«
»Sehr wohl, Herr«, sagte Willikins.
Er verschwand.
Sam Mumm trocknete sich das Gesicht ab, ging nach unten ins Frühstückszimmer, öffnete dort die Vitrine und entnahm ihr die neue Armbrust, die er von Sybil als Hochzeitsgeschenk erhalten hatte. Mumm war an die alten Armbrüste
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