Hola Chicas!: Auf dem Laufsteg meines Lebens (German Edition)
habe ich auch viele Tricks gelernt. Zum Beispiel, dass man ein heißes Fußbad mit Zitrone nimmt, wenn man Schmerzen in den Füßen hat. Das entspannt und ist gut für die Füße. Ich mache das heute noch, Chicas, wenn ich stundenlang in High Heels gelaufen bin.
Den Frauen meiner Familie verdanke ich meinen Sinn für Schönheit. Sie haben mich geprägt, gaben mir Selbstbewusstsein und waren eine Quelle der Inspiration für mich. Ich habe viel von ihnen gelernt und durfte mein zweites Ich mit ihnen ausleben. Es waren immer die Chicas, mit denen ich mich wohlfühlte. Und alle Frauen meiner Familie – meine Mutter, meine Oma, meine Schwester, meine Tante und Cousinen – teilten meine Leidenschaft für High Heels.
Mein zweites Ich
Zwischen meinem vierten und meinem sechsten Lebensjahr explodierte meine Persönlichkeit. Damals begann ich zu spüren, dass ich anders war als die anderen Jungs. In der Vorschule war ein kubanischer Junge japanischer Abstammung, den ich bewunderte, weil er so schöne schwarze, glatte Haare hatte. Ich freute mich jeden Tag darauf, ihn zu sehen. In dem Alter weißt du ja noch nicht genau, was mit dir los ist. Du merkst nur, dass dir Jungs gefallen, aber die Bedeutung des Wortes Homosexualität ist dir nicht klar. Ich fühlte mich damals einfach zu Jungs hingezogen. Auch in den Zeitschriften, die meine Mutter zu Hause hatte, gefiel mir zwar die Mode der Frauen, aber sonst klebten meine Blicke an den Männern.
Als ich vier Jahre alt war, schenkten mir meine Eltern einen roten Arztkoffer mit einem weißen Kreuz drauf. Damals spielte ich oft mit den Nachbarsjungen – drei Brüdern –, die ein bisschen älter als ich und richtig schlimm waren. Sie prügelten sich und stellten ständig irgendwelche Sachen an. Mit ihnen kam der Arztkoffer zum Einsatz, in dem sich eine Miniausrüstung für Juniorärzte befand: ein Stethoskop, eine Lupe, ein Reflexhammer, ein Holzspatel, eine Plastikspritze und Verbandszeug. Einer der Jungs musste der Kranke sein, und ich war – Dr. Jorge.
Nach einer genauen Untersuchung mit Lupe und Stethoskop stellte ich meinem Patienten die Diagnose: »Du bist sehr krank und brauchst unbedingt eine Medizin.« Diese Medizin bestand aus einem Kuss. Und am nächsten Tag, wenn mir mein Patient wieder begegnete, ordnete Dr. Jorge an: »Ich muss dich noch mal untersuchen.«
Bei diesen Doktorspielen fingen wir an, uns anzufassen, zu necken und auch manchmal zu küssen. Meine Freunde imitierten die größeren Jungs, die auf der Straße mit den Mädchen flirteten. Für mich war es ganz normal, Jungs zu küssen. Aber es war nicht normal in der Welt, in der ich lebte. Denn die meisten Jungs wollten lieber Mädchen küssen. Nach diesen Doktorspielen wusste ich, dass ich Jungs mochte, auch wenn ich keine Lust hatte, mit Autos oder auf der Straße vor unserem Haus Baseball zu spielen, wie sie das taten. Es machte mir auch keinen Spaß, mit meinem Vater in seinem Lkw zu fahren. Alles, was für viele Jungs ein Traum war, habe ich gehasst.
Ich träumte von etwas ganz anderem. Bei meiner Oma hatte ich einmal eine Fernsehdokumentation über Alicia Alonso, die große Ikone des kubanischen Balletts, gesehen, die heute noch viele Menschen verehren. Sie war schon damals eine Legende, eine Primaballerina assoluta. Ihre stolze Haltung, die Eleganz ihrer Bewegungen, der Ausdruck ihres Gesichts und ihrer Hände – unvergleichlich. Ich sah die Reportage über sie und ihre berühmte Ballettkompanie in Havanna, das Ballet Nacional de Cuba, und war fasziniert. Das wollte ich auch!
Natürlich konnte ich damals kein Ballett, aber ich machte einfach die Bewegungen der Tänzer im Fernsehen nach: zweite Position, dritte Position, vierte und fünfte Position. Von dem Tag an übte ich jeden Tag zu Hause: Ich lief stundenlang auf den Zehenspitzen, drehte Pirouetten durchs Wohnzimmer, machte Stretching am Geländer der Veranda, sprang vom Wohnzimmertisch in den Spagat oder zog das Bein hinter dem Rücken bis an den Kopf. Ich tanzte und tanzte und tanzte. Es war wie ein Spiel, in dem ich die Ballerina war. Und in meiner Fantasie trug ich so ein schönes Tutu wie Alicia.
Trotz aller Liebe für den Salsa schlug mein Herz von diesem Moment an fürs Ballett. Und von da an hatte ich einen Traum: Ich wollte nach Havanna in die Ballettkompanie von Alicia Alonso. Weil ich groß war für einen Fünfjährigen, dachte ich perfekt geeignet zu sein als Balletttänzer. Ich stand und ging von morgens bis abends aufrecht und
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