Holidays on Ice
Bild erscheint. Ein fauler oder dummer Zwerg könnte eine ganze Filmrolle ruinieren; eifrige Familien zahlen und kriegen dann später Fotografien von wildfremden Menschen.
Wenn man jemanden knipst, erf ährt man schrecklich viel über ihn, mit der Betonung auf schrecklich. Wenn die Eltern dabei sind, verschlimmert das die Sache noch. Die Firmenpolitik vom Weihnachtsland sieht vor, dass von jedem Kind ein Bild gemacht wird, welches die Elternteile dann bestellen oder ablehnen k önnen. Die Leute dürfen ihre eigenen Kameras, Videorecorder, sonst was, mitbringen. Die multimedialen Gruppen sind es, die mich Fertigmachen. Das sind Eltern, die vor lauter Equipment vornübergebeugt sind, unnachgiebig in ihrem Drang nach Dokumentation.
Ich sehe sie mit ihren Videokameras im Irrgarten, wie sie ihre Kinder dazu anhalten, überrascht zu wirken. »Monica, Baby, kuck die elektrische Eisenbahn an und kuck dich dann um und sieh mich an. Nein, mich sollst du ansehen. Jetzt winken. Genau, und jetzt noch doller winken.«
Die Eltern halten die Schlange auf, und dem Irrgartenzwerg obliegt es, sie weiterzuscheuchen.
»Entschuldigen Sie, Sir, es tut mir leid, aber heute ist ziemlich viel los bei uns, und ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie bald fertig wären. Hinter Ihnen warten noch viele andere.«
Dann bittet einen der Vater, neben dem Kind zu stehen und zu winken. Ich tu's. Ich stehe neben einem Kind, winke in die Videokamera und frage mich, wo ich wohl enden werde. Ich sehe mich auf dem Fernsehschirm in einem get äfelten Zimmer in Wapahanset oder Easternmost Meadows. Ich stelle mir vor, wie die Familie sich um das Kommando über die Fernbedienung streitet, wobei der Fast-Forward-Knopf bedient wird. Das Winken des Kindes wird zum zackigen Salut. Ich komme ins Bild, und jeder im Raum hegt denselben Gedanken: »Was hat dieses Arschloch auf unserem Weihnachtserinnerungsvideo zu suchen?«
Der Augenblick, auf den diese Menschen warten, ist das Zusammentreffen mit dem Weihnachtsmann. Als Fotozwerg beobachte ich, wie sie den Raum betreten und die Kontrolle übernehmen.
»Also gut, Ellen, ich möchte, dass du mit Marcus vor dem Weihnachtsmann stehst, und wenn ich jetzt sage, möchte ich, dass du dich zu ihm auf den Schoß setzt. Jetzt sieh mich an. Sieh Daddy an, bis ich dir sage, dass du den Weihnachtsmann ansehen sollst.«
Er wird mit seiner Frau sprechen, die mit dem Fotoapparat arbeitet, und sie wird sich mit ihrem Belichtungsmesser und der Nikon mit zahlreichen Extras tief auf den Boden kauern. Die Ausr üstung ist schwer, und die Adern auf ihren Armen schwellen.
Dann gibt es die multimedialen Familien in Gruppen, die sagen: »Also gut, jetzt wollen wir noch eine Aufnahme von Anthony, Damascus, Theresa, Doug, Amy, Paul und Vanity —; kriegen wir die alle zusammen drauf? Weihnachtsmann, wie wär's, wenn Sie Doug huckepack nähmen, wäre das wohl möglich?«
W ährend dieser Besuche ist es den Kindern kaum je gestattet, ihre Wünsche mit dem Weihnachtsmann zu erörtern. Sie sind vollauf damit beschäftigt, von ihren Eltern inszeniert zu werden.
»Vanity und Damascus, kuckt hier herüber, nein, hier herüber.«
»Weihnachtsmann, kannst du den Arm um Amy legen und Paul gleichzeitig die Hand geben?«
»So ist es gut. So ist es schön.« Ich habe Eltern gesehen, die ihr Kind auf den Scho ß des Weihnachtsmanns setzen und sofort mit der Schönheitspflege beginnen: Haarekämmen, Saum zurechtzurren, Schlipsknoten prüfen. Ich habe einen Elternteil gesehen, der das Haar des Kindes einsprühte und dabei den Weihnachtsmann behandelte, als wäre er ein imitiertes Requisit aus Zement, und der Weihnachtsmann wandte sich ab und zuckte zusammen, als das Haarspray in seinen Augen brannte.
Junge Kinder, zwei bis vier Jahre alt, neigen dazu, vor dem Weihnachtsmann Angst zu haben. Sie sind nicht daran interessiert, dass ein Bild von ihnen geknipst wird, weil sie nicht wissen, was ein Bild ist. Sie sind nicht eitel, sie sind Babys. Sie sind Babys, und sie handeln entsprechend - sie weinen. Ein Fotozwerg kapiert, dass es, sobald ein Kind zu weinen anf ängt, vorbei ist. Sie fangen im Haus des Weihnachtsmanns an zu weinen und hören nicht wieder auf, bis sie mindestens zehn Straßen weiter sind.
Wenn das Kind anf ängt zu weinen, wird der Weihnachtsmann zunächst tröstend eingreifen, und dann sagt er: »Vielleicht versuchen wir's nächstes Jahr noch mal.«
Die Eltern hatten geplant, die Fotos an Verwandte zu verschicken und in Alben zu kleben.
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