Holidays on Ice
anderen Tischen w ürden uns anstarren und tuscheln: »Ist das nicht...? Ist das nicht...?«
Vielleicht h ätte mich ihre Begeisterung abgelenkt, und dann hätte Victoria Buchannon ihre Hand auf meine Hand gelegt und gesagt, ich müsse mich allmählich daran gewöhnen, im Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit zu stehen.
Aber statt dessen bewerbe ich mich um einen Job als Zwerg. Noch schlimmer als die Bewerbung ist die sehr reale M öglichkeit, dass ich den Job nicht kriege, dass ich nicht mal als Zwerg Arbeit finden kann. Dann weiß man, dass man ein Versager ist.
Heute Nachmittag sa ß ich im siebten Stock im Santa-Land-Büro, und man sagte mir: »Gratuliere, Mr. Sedaris. Sie sind ein Zwerg.«
Um Zwerg zu werden, f üllte ich ein zehn Seiten starkes Formular aus, unterzog mich einem Multiple Choice -Persönlichkeitstest, führte zwei Einstellungsgespräche und spendete Urin für einen Drogentest. Das erste Gespr äch war allgemein gehalten und diente dazu, offenkundige Soziopathen auszusondern. Im Verlauf des zweiten Gesprächs wurden wir gefragt, warum wir Zwerge werden wollten. So was ist immer eine problematische Frage. Ich hörte zu, wie die Frau vor mir, eine frühere Kellnerin, die Frage beantwortete: »Ich möchte wirklich Zwergin werden? Weil ich finde, es hat mit Schauspielerei zu tun? Und davor habe ich in einem Restaurant gearbeitet? Und das wurde von dieser echt ganz wunderbaren Frau geführt, deren Traum es gewesen war, ein eigenes Restaurant zu eröffnen? Und da wurde mir klar, dass es echt... echt ganz wichtig ist... einen Traum zu haben?«
Alles, was die Frau sagte, jedes Satzglied, jeder Satz, war mit einem Fragezeichen interpunktiert, und die Personaltante hob nicht mal die Braue.
Als ich an der Reihe war, erkl ärte ich, ich würde gern Zwerg werden, weil das eine der erschreckendsten Karriere-Optionen sei, mit denen ich je zu tun gehabt hätte. Die Personaltante hob den Blick von meiner Bewerbung und sagte: »Und...?«
Ich bin bestimmt im Drogentest durchgefallen. In meinem Urin schwammen Joint-Kippen und Stiele vom Hanfstrauch, aber sie haben mich trotzdem genommen, weil ich klein bin, 1,63 Meter. Fast alle, die sie genommen haben, sind klein. Einer ist Liliputaner. Nach dem zweiten Gespr äch wurde ich ins Büro des Geschäftsführers gebracht, und dort zeigte man mir einen Grundriss vom Erdgeschoss. Wenn viel los ist, wird der Weihnachtsmann an einem einzigen Tag von zweiundzwanzigtausend Menschen besucht, und man sagte mir, das Los des Zwerges sei es, angesichts von Not und Qual fr öhlich zu bleiben. Ich versprach, immer daran zu denken.
Ich verbrachte meinen Achtstundentag mit f ünfzig Zwergen und einer munteren, wohlmeinenden Ausbilderin in einem riesigen Macy's-Klassenzimmer, dessen Wände mit NCR 2152s praktisch getäfelt waren. Eine 2152 ist, habe ich schließlich kapiert, eine Registrierkasse. In meiner Gruppe waren mehrere Zwerge, die bereits als Zwerge gearbeitet hatten, und ein paar Kassiererinnen mit Erfahrung, die mir zu helfen versuchten, indem sie Sachen sagten wie: »Du weiß noch nicht mal deinen persönlichen Identifizierungs-Kode? Manno, meinen hatte ich gegen zehn Uhr drauf.«
Alles an der Registrierkasse sch üchtert mich ein. Jeder Vorgang erfordert eine Reihe von Kodes: verschiedene Zahlen für Barzahlung, Schecks und jede Sorte Kreditkarten. Das Wort Betrag mit nichts dahinter ist inzwischen zum schweinischsten Wort in meinem Wortschatz geworden. Beträge mit nichts dahinter sind ein Albtraum an Papierkram und kodierten Zahlen, alles in dreifacher Ausfertigung und vom Angestellten und seinem Vorgesetzten mit den Anfangsbuchstaben paraphiert.
Als ich heute Abend das Geb äude verließ, konnte ich das Bild nicht abschütteln, das sich vor meinem geistigen Auge festgesetzt hatte, wie mich ungeduldige, wütende Kunden, deren Nerven von meiner totalen Unf ähigkeit durchgewetzt sind, zu Tode steinigen. Ich sage mir, ich werde einfach meine Kasse aufbrechen und alles akzeptieren, was sie mir geben wollen -, Perlschnüre, Bargeld, Uhren, egal. Ich werde verhandeln und umtauschen. Ich werde ihre Kreditkarte durch die Mangel prügeln, »Schön, Sie kennen gelernt zu haben!« unten auf die Quittung schreiben und es dabei bewenden lassen.
Alles, was wir im Weihnachtsland verkaufen, sind Fotos. Die Menschen setzen sich dem Weihnachtsmann auf den Scho ß und posieren für ein Bild. Der Fotozwerg gibt ihnen ein Stück Papier, auf das oben eine Zahl gedruckt ist. Ein
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