Hollisch verliebt
noch nie erlebt. Auf die übliche Art würde sie nicht zu ihm durchdringen. „Ich bin kein kleines Mädchen mehr. Du kannst mich nicht einfach gegen meinen Willen einsperren und glauben …“
„Vor dem Gesetz bist du noch nicht erwachsen, und ich kann sehr wohl tun, was ich will. Du bist kurz davor, das Schuljahr nicht zu schaffen. Und warum? Weil du mit den falschen Leuten zusammen bist. Das werde ich jetzt ändern.“
„Dad …“
Er war noch nicht fertig. „Seit du mit diesem Haden Stone befreundet bist, hast du dich verändert. Du bist weniger umgänglich geworden. Du hast mit deinem Freund Schluss gemacht und triffst dich mit einem Kriminellen.“
Wenn er wüsste … Ihr Exfreund Tucker war wesentlich krimineller gewesen als Riley. Und jetzt war Tucker tot.
Dieser Gedanke sprang sie in den unpassendsten Momenten an und trieb ihr Tränen in die Augen. So auch jetzt. „Riley ist in Ordnung.“ Zumindest war er es gewesen, bis sie sein Leben ruiniert hatte. „Du kannst ihn doch nicht wegen dieser einen Sache verurteilen.“
„Du sagst mir ständig, was ich nicht kann, aber du findest schon noch raus, was ich kann. Ach Kleines, das findest du schon noch raus.“
Sie biss die Zähne zusammen und versuchte es mit einem weiteren Argument: „Ich falle nicht durch. Ein paar Wochen habe ich verpasst, aber die kann ich leicht aufholen.“
„Kannst du, aber in der Reha.“
„Reha?“ Sie musste beinahe lachen. Beinahe. „Ich habe doch schon gesagt, dass ich keine Drogen nehme.“
„Das werden wir ja sehen.“
Plötzlich prasselte heftiger Regen auf die Windschutzscheibe. Die Scheibenwischer sprangen an, und Mary Anns Vater ging leicht vom Gas.
„Und wenn du weißt, dass ich clean bin?“, fragte sie hoffnungsvoll. „Nimmst du mich dann mit nach Hause?“
„Nein. Du bleibst dort. Das ist nicht nur eine Einrichtung für Drogensüchtige. Sie ist für Jugendliche gedacht, die Probleme haben, die sie ohne Hilfe nicht lösen können.“
Eine Anstalt. Er wollte sie in eine Anstalt sperren. Ein Schock durchfuhr sie; jetzt war sie nicht nur ängstlich, sondern absolut entsetzt. „Dad, du kannst nicht …“
„Es ist zu spät, Mary Ann“, wiederholte er. „Es ist alles geregelt.“ Die Säure in ihrem Magen brannte ihr fast ein Loch in den Bauch und stieg ihr beißend die Kehle hinauf. „Wie lange?“, ächzte sie und dachte: Riley holt mich da raus. Ob wir zusammen sind oder nicht, er lässt mich da nicht verrotten.
„So lange wie nötig.“
Riley lief durch die dunklen, regennassen Straßen von Tulsa, die Hände in den Taschen vergraben, die Haut fast von einer dünnen Eisschicht überzogen, die Haare angeklatscht. Sein Atem formte kleine Wölkchen vor seinem Gesicht. Gelegentlich fuhren Autos vorbei, aber es war kaum jemand unterwegs.
Die rechtschaffenen, klugen Menschen dieser Stadt hatten sich schon in ihre warmen trockenen Häuser geflüchtet. Auch Mary Ann hatte es wahrscheinlich warm und trocken und war auf dem Heimweg. Wie eres sich gewünscht hatte.
Er hatte sie ihrem Vater zurückgegeben.
Dafür hatte er die Befehle seines Königs, seines Freundes, missachtet und getan, was er selbst für richtig hielt. So etwas war noch nie passiert. Er hatte immer gehorcht wie ein kleiner braver Soldat und hatte Loyalität bewiesen. Doch was er an diesem Tag gemacht hatte, tat ihm jetzt schon leid. Nicht wegen der Sache mit der Loyalität, sondern weil er Mary Ann vermisste. Ihr Lächeln, ihren Sinn für Humor, ihre Ehrlichkeit, ihr gutes Herz.
Er wollte sie zurück.
Aber sie hatte sich in einen Wolf verliebt, und dieser Wolf war er nicht mehr. Vielleicht dachte sie, er sei immer noch derselbe und sie würde ihn noch mögen, aber irgendwann würde sie die Wahrheit erkennen: Er war schwach und verletzlich, und es würde nicht lange dauern, bis sein Volk ihn verstieß.
Ob er sich leidtat? Ja, verdammt. Er wusste nicht mehr, wer oder was er war. Nur dass er nichts taugte. Er war ein Versager. Nutzlos.
Er konnte Mary Ann nicht selbst beschützen, aber er konnte darauf achten, dass ihr Vater das übernahm. Ja, das würde er tun. Vorher galt es nur noch eine Sache zu erledigen.
Riley bog um eine Ecke. Mittlerweile regnete es noch stärker. Von Vlad hatte er gelernt, wie man unter Menschen nicht auffiel und seine wahre Identität verbarg. Bei dem einzigen Anruf, der Riley erlaubt gewesen war, hatte er seinen Brüdern auf die Mailbox gesprochen, dass sie nicht nach ihm suchen sollten. Danach war er
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