Hollisch verliebt
wollte er nochetwas sagen, aber am Ende schwieg er. Beim Gehen ließ er die Haustür hinter sich zuknallen.
Wie konnte Joe ihm das antun? Ihn einfach alleinlassen? Noch einmal. Aber die quälendste Frage lautete: Wie wäre Adens Leben verlaufen, wenn Joe ihn geliebt und bei sich behalten hätte? Hätte Joe ihm alles beigebracht, was er wissen musste?
Mit einem neuerlichen Kreischen brachte Junior beinahe Adens Trommelfell zum Platzen.
Ruhig, ganz ruhig.
Die ganze Zeit über saß Tonya ungerührt auf ihrem Platz.
Victoria nahm Aden in die Arme, setzte sich auf seinen Schoß und drückte ihn fest. „Es tut mir so leid. Er hat dich gar nicht verdient.“
Das Gleiche hatte sie sich wahrscheinlich selbst gesagt oder von Riley gehört, als ihr Vater ihr das Herz gebrochen hatte. Aden erwiderte die Umarmung und ließ sich von Victoria trösten, wie nur sie es konnte. Er atmete ihren Duft ein, der so köstlich war und ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ, aber er biss sie nicht und dachte nicht einmal daran, sie zu schmecken, sondern genoss einfach ihre Gegenwart. Irgendwann wurden er und auch Junior wieder ruhiger.
Aden, bitte, meldete sich Julian.
Julian. Sein Freund. Aden würde ihm helfen, egal wie sehr er selbst leiden musste. Nachdem er Victoria einen Kuss auf die Schläfe gedrückt und sie aufs Sofa gesetzt hatte, nahm er den Zettel in die Hand, las ihn und stand auf. Er ging zu Tonya und zerknüllte dabei den Zettel in seiner Hand. Das sollte wirklich helfen?
Vor Tonya ging er in die Hocke. „Sehen Sie mich an, Tonya.“
Sie gehorchte, ohne zu zögern.
Wird es funktionieren, fragte Julian. Muss es einfach.
Aden war nicht sicher, ob er sich nicht nur zum Affen machen würde.
Was sein Vater vorgeschlagen hatte, war so einfach, dass ein Höhlenmensch es hinbekommen hätte. Trotzdem sagte er: „Tonya Smart, dein Herz ist dein. Deine Seele ist dein. Liebe kann welken, Liebe kann vergehen, doch die Wahrheit macht dich frei.“
Tonya blinzelte ihn an.
Warum ist nichts passiert, fragte Julian.
„Sie steht noch unter Drogen“, sagte Victoria. „Vielleicht kann sie deshalb nicht reagieren.“
„Kämpfen Sie gegen die Droge an“, befahl Aden, und wieder gehorchte sie. Nicht weil Joe es ihr gesagt hatte, sondern weil Adenseine Vampirstimme einsetzte.
Aus ihren Augen verschwand dieser glasige Blick, und die wirbelnden Schatten kamen wieder zum Vorschein. Tonya stieß einen Schrei aus, bäumte sich auf, dass ihr Stuhl wackelte, dann krümmte sie sich zusammen. Zitternd und stöhnend wand sie sich, die Hände ineinander verkrampft.
Aden wich zurück, er wusste nicht, wie er ihr helfen sollte.
Unternimm was, flehte Julian.
„Ich weiß nicht, was.“ Er konnte nur entsetzt zusehen, als die Schatten aus Tonyas Poren krochen und in dunklen Nebelschwaden von ihrem Körper aufstiegen. Schreie hallten durchs Zimmer.
Waren es Tonyas Schreie, die sie immer und immer wieder unterdrückt hatte, solange der Zauber sie zu etwas gezwungen hatte?
Als Aden zu Victoria zurückkehrte, vertrieb die Bewegung die Schatten. Sie lösten sich, schossen nach oben und verschwanden durch die Decke. Zurück blieb nur bleierne Stille.
Tonya sackte in sich zusammen, glitt zu Boden und blieb keuchend liegen. Sie war schweißgebadet, Tränen strömten ihr über die Wangen, ihre Haut war stark gerötet. „Ich … er … mein Gott!“ Schluchzend und am ganzen Körper bebend krümmte sie sich zusammen.
Victoria näherte sich ihr und streckte eine Hand aus. Tonya bemerkte die Bewegung aus dem Augenwinkel und wich zurück.
„Rühr mich nicht an! Raus hier! Raus aus meinem Haus! Ich hasse dich. Ich hasse euch alle. Ich hasse ihn. Ich hasse ihn, ich hasse ihn.“ Vor Schluchzen bekam sie kaum noch Luft.
„Julian … Robert“, sagte Aden. „Soll ich ihr irgendwas sagen?“
Nach einem Moment kam die Antwort: Nein. Sie würde jetzt nicht zuhören, und ich wüsste auch nicht, was ich sagen sollte. Ich liebe sie nicht mehr so wie früher, ich konnte sie nur nicht in diesem Gefängnis verrotten lassen, in das Daniel sie gesperrt hatte. Sie ist frei. Sie ist tatsächlich frei, nur darauf kommt es an.
Mit jedem Wort war seine Stimme sanfter und leiser geworden.
Er verlässt mich. Plötzlich hätte Aden selbst beinahe geschrien. Geh nicht. Ich bin noch nicht so weit. Er behielt die Worte für sich. Für Julian wären sie nur eine Belastung gewesen. „Wie lange … wie viel Zeit bleibt dir noch?“
Nicht mehr viel. Nur noch
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