Holunderblut
beißenden Geruch nach Fäkalien und Fäulnis.
Graust es vor der Diagnose vom Dr. Lechner, Subduralhämatom, Hirnblutung, hat er gesagt.
Sie erledigen sich selbst
.
Wenn du nichts siehst und immer weniger fühlst, bleibt nur noch die Angst.
Und ein paar klare Gedanken zwischendrin.
Ihr linker Arm fühlt sich taub an. Wie gestern, als sie noch nicht einmal mehr ihr Telefon aus der Jackentasche hat holen können. Der Matteo hat es für sie gemacht.
Matteo.
Er hat nicht lockergelassen, ihr hinterhertelefoniert, er ist nachts 800 km am Stück gefahren, nur um bei ihr sein zu können, hat seinen Jahresurlaub auf einmal genommen, hat sie gepflegt, bekocht, abgeholt, durch die Gegend gefahren,
geh nicht allein
, hat er gesagt, und sie hat wieder nur gemacht, was sie wollte, und nicht auf ihn gehört.
Lass die anderen das machen, du bist krank, schon dich, ich kann für dich putzen, alles andere kann warten, hast du gut gemacht mit dem Kleinen, ich hab euch beobachtet, an
dich denke ich, bevor ich einschlafe, ich will dein Atmen hören und dein Stöhnen und dein Lachen, ich will dich, ich will dich jetzt, ich möchte den Rest meines Lebens mit dir verbringen, ich liebe dich.
Matteo. Es tut mir leid.
Und plötzlich dringt ein schleifendes Geräusch in ihre Gedanken ein.
Etwas zieht sich über den Boden.
Ganz nah.
Ein Keuchen.
Ein Stöhnen.
Ein Röcheln.
Und eine knochige Hand berührt ihren Arm, den Arm, der noch fühlt, und sie schreit und schreit, obwohl sie weiß, es ist kein Grauen, kein Monster, kein Halbtoter, sondern ein Mensch, aber es widert sie dermaßen an, sie kann nichts mehr ertragen, nur schreien ohne Unterlass, einen nur vom Luftholen unterbrochenen spitzen Schrei, mit aller Kraft, die sie noch aufbringen kann, und sie versucht, die knochige Hand abzuschütteln, aber sie kann nur mühsam ein winziges Stück fortrobben auf dem Boden. Und die knochige Hand ist schneller als sie und hält sie fest.
Dieses menschliche Wesen, das sie in ein Loch gesperrt haben. Sie war seine einzige Hoffnung.
Die Hoffnung stirbt zuletzt.
NEINZEHN
Manchmal versteht man alles, selbst wenn man kein Wort versteht. Es reicht, die Melodien der Stimmen zu hören und dem Spiel auf der Bühne zuzusehen.
Und genau das hatte der Matteo getan.
Er ist um das Haus herumgeschlichen, an wilden Hecken und hohen Bäumen vorbei, weil von hinten, von der Gartenseite her, ein schwaches Licht zu sehen war und weil ja die Tierärztin feierabendlich auf der Terrasse zu sitzen pflegte. Aber dieses Mal ist sie nicht allein dagesessen. Die Katharina hat er gesehen, sie ist im Licht gesessen, und den Schatten von der Tierärztin. Wen er nicht gesehen, sondern nur gehört hat, das war der Dr. Lechner. Diesen melodischen vertrauenerweckenden Tonfall, den hätte er noch unter Tausenden von Stimmen wiedererkannt. Bedrohlich ruhig hat er geklungen, ein ganz ein langer Monolog, den er da gehalten hat, von dem der Matteo nicht das Geringste verstanden hat.
Er hat die Katharina betrachtet und gewusst, dass da irgendetwas nicht stimmt. Sie hat nicht geantwortet, wenn der Arzt was gefragt hat, und der Matteo hat ja gewusst, dass sie, wenn sie kann, grundsätzlich auch auf rhetorische Fragen antwortet. Aber sie hat überhaupt nichts getan. Das war so gar nicht seine Katharina. Sie hat einfach nicht reagiert, und er hat begriffen, dass sie irgendetwas mit ihr gemacht haben müssen. Ihr vermutlich irgendetwas verabreicht hatten. Zwei Ärzte. Nicht abwegig, der Gedanke.Und schließlich hat der Dr. Lechner der Katharina aus dem Stuhl geholfen, und er hat sie gestützt, und dann sind die beiden im Haus verschwunden.
Seltsam. Und in höchstem Maße beunruhigend.
Die Tierärztin ist fast reglos dagesessen und hat eine nach der anderen weggeraucht.
Die Szene war von vorne bis hinten nicht stimmig. Und von hinten ums Terrasseneck ist der Matteo schließlich durch den Schatten geglitten, hat einen flüchtigen Blick durch die Glasfront in den Wohnraum geworfen, in dem nur ein paar teure Möbel gestanden sind, Le Corbusier, und zwei schöne Designerstandleuchten, deren warmes Licht bis auf die Terrasse herausgefallen ist.
Er hat es eigentlich gehasst, den Revolverhelden zu spielen, aber er hat jetzt erstens irgendwie diese Tierärztin befragen und zweitens gleichzeitig verhindern müssen, dass sie auf sich und ihn aufmerksam macht, drittens sie überwältigen, obwohl sie Taekwondo beherrscht, und viertens so wenig Schaden wie möglich
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