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Holunderblut

Holunderblut

Titel: Holunderblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Brinkmann
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es nicht funktioniert, und an diesem Vieh hat er vermutlich mehr gehangen als an irgendeinem Menschen. Der Hölle Rache, alles für die Katz.«
    Er hat einen letzten Schluck Rotwein genommen, sein Glas abgestellt und sich erhoben.
    »Bevor ich jetzt allzu poetisch werde, möchte ich Sie lieber ein wenig herumführen, Frau Berger. Sabine, bleib du ruhig sitzen. Trotz des leicht sedierenden Halluzinogens in Ihrem Proseccoglas sind Sie noch nicht desorientiert, eher ein wenig eingeschränkt in Ihren Reaktionen, aber ich werde Sie gerne stützen, und wir machen eine Hausbesichtigung. Kennen Sie das Haus schon? Meine Schwester hat einen sehr guten Geschmack, es wäre ein Jammer, wenn ich Ihnen den vorenthielte. Und nach unserer Hausbesichtigung würde es mich freuen, wenn Sie einen weiteren Gast begrüßen würden.«
     
    Der Dr.   Lechner hat der Katharina aus ihrem Stuhl geholfen, aber beim Aufstehen hat sie schon gemerkt, dass sie sich kaum aufrecht halten kann, und der Dr.   Lechner hat sie mehr durchs Haus geschleift, als dass sie selbst einen Fuß vor den anderen gesetzt hätte.
    Es war aufgeräumt, sauber und hell, überall haben Lichter gebrannt. Das war so ziemlich der einzige Eindruck, den der Tierärztinnen-Bungalow bei der Katharina jetzt hinterlassen hat. Zwischen Bungalow und Praxis das alte Gebäude, der Rest vom einstigen Hof, und da ist es direkt neben der Hauseingangstüre hinabgegangen in den Keller. Die Katharina hat alles mit einer Gleichgültigkeit hingenommen, die sie selber erstaunt hat.
    Schließlich sind sie die schmale düstere Treppe ins Dunkel hinuntergegangen, und die Katharina hat sich gefühlt, als würde sie Hunderte von Stufen hinabsteigen, wieder dieses Gefühl von gestreckter Zeit und gedehntem Raum.
    Steine sind an den Wänden gewesen, alte Ziegel, so ein gemauerter Keller. Und alles hat die Katharina verschwommen gesehen. Ganz modrig hat es gerochen, nach abgestandener, verbrauchter Luft. Das hat ihrem Kreislauf jetzt gar nicht gutgetan. Der Dr.   Lechner hat sie trotzdem aufrecht gehalten, er war schon recht kräftig.
    Er hat sie durch einen Flur geschleift und durch eine Tür und weiter, man hat fast schon den Kopf einziehen müssen, so niedrig war es.
    Und dann sind sie in einen Kellerraum getreten.
    Durch eine Tür. Eine schwere. Eisentür. Beschlagen. Schloss. Feucht. Estrichboden. Hart. Kalt.
    An der Decke eine einzige nackte Glühbirne, und der Raum kahl und schmutzig und Hunderte von Quadratmetern,kommt es der Katharina vor, aber wahrscheinlich sind es ein paar weniger. Also eigentlich wahrscheinlich ein kleiner Raum, aber so leer, dass es hallt. Jeder panische Atemzug von der Katharina kommt als Echo von den Wänden zurück.
    Und ein Gestank.
    Furchtbar. Fast wie Verwesung. Nach süß und nach sauer. Fensterlos. Und eine Ecke. Die aussieht, als wäre sie Kilometer entfernt.
    Aber es sind nur ein paar Meter, mehr können es nicht sein. Und irgendwo ein Luftzug, ein schmaler Schlitz knapp unterhalb von der Kellerdecke, und von dort hört man das Plätschern des Teiches.
Wir sind unter der Terrasse
. Die Katharina weiß gar nicht mehr, ob sie das jetzt nur denkt oder ob irgendjemand das zu ihr sagt.
    Die Stimme vom Dr.   Lechner, wie von fern, aber neben ihr, und ihr Blick fällt wieder auf die Ecke, und unter einer dreckigen alten Wolldecke zusammengekauert etwas.
    Und der Dr.   Lechner sagt: »Thomas, ich habe ein bisschen Gesellschaft für dich.«
    Aber das Etwas in der Ecke rührt sich nicht.
    Irgendwie zu spät merkt die Katharina, wie der Dr.   Lechner sie gegen die Kellerwand lehnt, und ihre Beine knicken ein, sie sinkt zu Boden, rutscht die schmutzige Kellerwand hinunter und spürt den rohen Beton an ihrem Rücken. Kalt und feucht. Und das Bündel in der Ecke hebt schwach den Kopf, und in einem sehr klaren Moment erkennt die Katharina den gut aussehenden Mann von dem Foto auf ihrem Küchentisch, wenn er jetzt auch extrem mager und eingefallen ausschaut, der Altmann Thomas, und bleich wie ein Toter. Und wenn man jetzt von außen die Tür schließt, zwei Tote.
    Und wenn und wenn und wenn, und auch wenn ich nicht kann, ich muss aufstehen. Ich muss raus hier. Wie kann ich   – ich kann nicht   – ich kann einfach nicht. Ich schaff es einfach nicht.
    Und dann geht das Licht aus.
    Und dann fällt die schwere Eisentür ins Schloss, und von außen wird zugesperrt.
    Und es ist Nacht.
    Und es graust der Katharina.
    Graust es vor dem Halbtoten im Eck.
    Graust es vor dem

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