Holunderblut
aufgestanden und hat sich ganz langsam umgedreht. In der Tür ist der Dr. Lechner gestanden, mit einem Glas Rotwein in der Hand, in dem sich das Licht aus dem Wohnzimmer gebrochen hat, und es hat ausgesehen wie Blut.
»Einen schönen guten Abend, Frau Berger. Ich denke, wir können auf Förmlichkeiten verzichten. Nehmen Sie doch bitte wieder Platz.«
Sehr, sehr ruhig hat der Dr. Lechner geklungen und sehr bedrohlich der Beiklang in seiner Stimme. Die Katharina hat sich nicht gerührt, nur ihre Gedanken sind gerast, und irgendetwas hat sie in Alarmbereitschaft versetzt.
Ihre rechte Hand ist ganz langsam an ihrem Bein nach hinten gewandert und hat an der Hosentasche gespürt, dass es da nicht viel zu spüren gibt, und jetzt ist ein Anflug von Panik in ihr hochgestiegen, weil sie versucht hat zu rekonstruieren, wo sie ihre Waffe verloren hat, und einfach nicht draufgekommen ist, wo.
»Sabine, du hättest mir wirklich Bescheid sagen können, dass du noch Besuch erwartest.« Und dann hat der Dr. Lechner die Katharina aufgefordert, auf dem Stuhl Platz zu nehmen, der mit der Lehne zum Garten gestanden ist, und er selbst hat sich auf der Katharina ihren Stuhl niedergelassen, und jetzt hat sie im Sitzen nur noch die Silhouetten von der Hohenstein und vom Lechner sehen können, weil das Wohnzimmerlicht ihr direkt ins Gesicht geschienen hat, durch die perfekt geputzten Glasscheiben hindurch und durch die halb leeren Gläser mit den Fingerabdrücken,die eine Freude für jeden Spurensicherer gewesen wären, und durch den Rotwein vom Dr. Lechner. Die anderen beiden hingegen haben die Katharina anschauen und mustern können, weil sie ist ja voll im Licht gesessen.
Aber die Hohenstein hat gar nichts mehr gesagt, weil jetzt war der Dr. Lechner dran, und der hat seinen Autoritätsanspruch geltend gemacht und ganz selbstbewusst und selbstsicher gesprochen.
»Frau Berger, warum haben Sie meine Krankschreibung nicht beachtet? Das hätte uns und Ihnen eine Menge Ärger erspart.«
Und mit diesen Worten hat er sein Glas erhoben und ihr zugeprostet, und sie hat es einfach nicht kapiert, weil die Panik sich ausgebreitet hat, überallhin, die Panik des Ausgeliefertseins, des In-der-Falle-Sitzens, des Nicht-denken-Könnens. Ihr ist übel gewesen und schwindlig, vielleicht von dieser Panik, die einem die Pupillen weitet, die Adrenalin produziert und kalten Schweiß, und dann hat sie wieder ihre rasenden Kopfschmerzen gehabt und kein Metamizol und kein gar nichts und keinen Matteo, der war draußen im BMW, und keine Waffe, die war sonstwo, wie kann man nur die Dienstwaffe verlieren, wie kann man nur, wie konnte sie nur.
»Wie konnten Sie nur so unvernünftig sein? Wir alle hätten so schön und ruhig weiterleben können wie bisher. Man hätte bei Ihnen eine Tomografie gemacht, in der Klinik in Mühldorf, und Ihre Hirnblutung entdeckt, denn das Schädel-Hirn-Trauma, das Sie bei Ihrem Sturz letzte Woche erlitten haben, war zwar
nur
Grad 1, aber die Symptome, die Sie zeigen, sprechen für die gelegentlich dabei auftretende Komplikation des chronischen Subduralhämatoms.Damit machen Sie es uns im gewissen Sinn auch wieder leicht. Sie erledigen sich praktisch selbst.«
Die Katharina hat das Gefühl gehabt, als würde die Zeit sich dehnen und als würde sie alles Gesagte erst Stunden später begreifen.
Sie erledigen sich praktisch selbst.
Und was hat er davor gesagt? Und warum sitze ich hier?
»Haben Sie das erwartet? Wohl eher nicht. Sie untersuchen, ermitteln und fragen in alle Richtungen, im Grunde auch auf keine ungeschickte Art und Weise, aber die interessantesten Details übersehen Sie schlichtweg. Dass Sabine nach ihrer Scheidung neben der Hälfte seines Vermögens auch den Namen ihres Exmannes behalten hat, aber mit Mädchennamen Lechner geheißen hat, zum Beispiel. Und dass sie meine Schwester ist.« Dieser Stolz in seiner Stimme.
Die Katharina hat gemerkt, wie sie immer langsamer wird. Aber trotz allem ist ihr jetzt wieder eingefallen, was ihr zuvor nur unbewusst aufgefallen war, nämlich das mit der Familienähnlichkeit. Das ist wie bei der Anni und beim Brunner gewesen, die Sabine und der Vincent Lechner haben sich nämlich tatsächlich sehr, sehr ähnlich gesehen. Ich Vollidiot, hat die Katharina sich gedacht. Ich hätte es erkennen müssen. Schneller denken, Katharina. Wenn sie sich nur nicht so furchtbar gefühlt hätte.
»Ist Ihnen schwindlig? Übel?«
Sie hat kein Wort herausbekommen, weil jedes Mal, wenn
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