Holunderküsschen (German Edition)
mich zu entspannen und ruhiger zu werden. Schließlich habe ich noch nichts Endgültiges getan.
Allmählich tut der Alkohol seine Wirkung! Ich fühle mich zum ersten Mal an diesem Tag etwas besser. So, als könnte ich tatsächlich etwas essen, ohne es sofort wieder von mir zu geben. Vorsichtig probiere ich das Brötchen. Nehme einen weiteren Bissen, als mir auffällt, wie hungrig ich bin.
Es scheint ewig her zu sein, dass ich etwas gegessen habe. Irgendwann gestern Abend war die letzte Mahlzeit. Heute hat mir der Tote … Okay, lieber an etwas anderes denken .
Um mich abzulenken, blättere ich in einer Zeitschrift. Aber es gelingt mir nicht, auch nur ein Wort von dem zu verstehen, was ich lese. Die Buchstaben tanzen vor meinen Augen und ergeben keinen Sinn. Mit einem Seufzer gebe ich auf und schaue stattdessen aus dem großen Terrassenfenster hinaus auf den kleinen Park. Während meines Studiums habe ich etliche Stunden in diesem Cafégarten unter der Laube gesessen, Milchkaffee getrunken und erregte Diskussionen über die letzte Klausur oder einen unfairen Professor geführt. Hier habe ich Ron zum ersten Mal getroffen.
Als ich ihn sah, hätte ich nie gedacht, dass er sich für mich interessieren würde. Er sah so unglaublich gut aus, war so männlich und selbstbewusst. Ganz anders als die Männer, mit denen ich zuvor liiert war. Ron wusste immer genau, was er wollte und vor allem, wie er es bekam.
Mit einem verträumten Lächeln lasse ich meinen Blick durch den Garten wandern, und ich erinnere mich an eine heiße Sommernacht, kaum zwei Wochen, nachdem wir uns kennengelernt hatten. Ich war in Rons Penthouse, das eine atemberaubende Aussicht über das gesamte Rhein - Main - Gebiet gewährt. Aber das war es nicht, was meine Aufmerksamkeit fesselte. Es war Ron selbst. Er hielt mich mit seinem Blick fest. Im Hintergrund lief Musik, aber ich nahm sie gar nicht richtig wahr. Nichts schien zu existieren außer Ron und mir.
„Du bist so wunderschön“, flüsterte er schließlich. Ohne den Blick von mir zu lösen, zeichnete er mit dem Finger die Konturen meines Gesichts nach. Ich schloss für eine Sekunde die Augen, genoss die Berührung, die sämtliche Nervenenden zum Leben erweckte. Wie eine Spur aus Lava.
Und dann spürte ich ein sanftes Streicheln auf meinen Lippen, gefolgt von dem Geschmack nach Meer.
Salz.
Sein Finger wanderte weiter, strich über mein Kinn den Hals hinab, bis zu meinem Ausschnitt. Er fuhr an dem dünnen Stoff entlang, ohne meine Haut zu berühren.
Ein prickelnder Duft reizte meine Sinne. Ich öffnete die Augen, sah Ron, der eine Zitrone in seinen Händen hielt.
Ganz zart trennten seine Zähne ein Stück davon ab. Er lächelte, als er sich zu mir beugte und das Salz von meinen Lippen leckte. Und dann küsste er mich.
Sehnsucht breitet sich in mir aus. Ich wünschte, er wäre hier und könnte mir helfen, mit diesem Chaos, in das sich mein Leben verwandelt hat, fertig zu werden. Aber er ist noch bis Mittwoch weg. Und ich will ihm nicht am Telefon erzählen, was passiert ist. Man hört so oft davon, dass Handygespräche abgehört werden, und außerdem, was soll ich sagen? Mein Tag war ganz nett bis auf die Leiche, die ich gefunden habe?
Ein leiser Glockenton reißt mich aus diesen Überlegungen. Eine SMS. Ron . Als hätte er meine Gedanken gelesen und gewusst, dass ich ihn jetzt brauche.
Ein Meeting jagt das nächste. Wie geht es dir?
Wie es mir geht? Schlecht!
Aber das kann ich ihm natürlich nicht simsen, sonst will er wissen, was los ist. Und obwohl ich mir nichts sehnlicher wünsche, als mit ihm über alles zu sprechen, antworte ich mit einem Blendend. Bin im Albatros beim Frühstück , sende die SMS ab und starre vor mich hin, ohne etwas von dem Regen und den grauen Wolkenmassen draußen wahrzunehmen. Schon morgen kann mein Leben weitergehen wie bisher. Oder nicht?
Wer war der Tote? Warum war er in unserem Haus? Und vor allem, wie ist er hineingelangt?
Ich wünschte, ich könnte aufhören zu denken. Einfach mein Gehirn abschalten und für ein paar Stunden Ruhe haben. Aber das geht nicht. Die Fragen fahren Karussell in meinem Kopf, bringen mich fast um den Verstand. Bis eine Überlegung alles zu einem abrupten Stillstand kommen lässt: Mir geht mit einem Mal auf, wie ich zumindest eine der wichtigsten Antworten schon längst selbst hätte finden können. Ich Idiotin, ich hätte nur in den Taschen des Toten nachschauen müssen . Vielleicht hatte er eine
Weitere Kostenlose Bücher