Homicide
Aussage in die Zange genommen wurde, warum man dem Hinweis irgendeines hirntoten Informanten keine Beachtung schenkte, oder warum die Spurensicherung keine Anweisung erhielt, auch in den eigenen Arschlöchern nach Fingerabdrücken zu suchen.
Ein Mordermittler überlebt, indem er in der Befehlskette lesen lernt wie eine Zigeunerin im Kaffeesatz. Wenn die Vorgesetzten Fragen stellen, macht er sich durch Antworten unentbehrlich. Wenn sie nach Gründen suchen, jemandem an die Gurgel zu gehen, stellt er einen derartig unanfechtbaren Bericht zusammen, dass sie annehmen, er schlafe mit dem Diensthandbuch unter dem Kopfkissen. Und verlangen sie schlicht nach einem Verantwortlichen, den sie zur Schnecke machen können, dann versteht er, sich unsichtbar zu machen. Ist ein Detective so trickreich, einen Red Ball zu überstehen, würdigt das Präsidium seinenVerstand und lässt ihn in Ruhe, sodass er an seinen Schreibtisch zurückkehren, das Telefon abnehmen und wieder auf Leichen starren kann.
Und da sieht er so einiges. Leichen von mit Kanthölzern, Baseballschlägern, Wagenhebern und Ziegelsteinen Erschlagenen. Leichen mit klaffenden Wunden von Tranchiermessern oder von so dicht aufgesetzten Waffen, dass der Pfropfen der Patrone, welcher das Pulver vom Projektil trennt, tief ins Fleisch eingedrungen ist. Leichen im Treppenaufgang von Sozialbauten, die Spritze noch im Unterarm, mit einem jämmerlich friedlichen Ausdruck im Gesicht. Leichen, die aus dem Hafenbecken gezogen werden, in deren Hände und Füße sich Blaukrabben verbissen haben. Leichen in Kellern, Leichen in Hinterhöfen, Leichen in Betten, Leichen im Kofferraum eines Chrysler mit dem Kennzeichen eines anderen Bundesstaats, Leichen in der Notaufnahme des Universitätskrankenhauses auf der Rollbahre hinter einem blauen Vorhang, noch mit Infusionsnadeln und Kathetern, die alle Künste der Medizin verspotten. Leichen oder Leichenteile, die von Balkonen, Dächern, von Ladekränen im Marinehafen gefallen sind. Leichen, zerquetscht von schweren Maschinen, erstickt an Kohlenmonoxid oder in der Arrestzelle des Central District an einem Paar Tennissocken baumelnd. Leichen in Kinderbettchen, umgeben von Plüschtieren, kleine Körper im Arm trauernder Mütter, die nicht verstehen können, warum ihr Baby zu atmen aufgehört hat.
Im Winter steht der Detective in einem Schlamm aus Wasser und Asche und hat diesen unverkennbaren Geruch in der Nase, während Feuerwehrmänner Kinder aus dem Schutt schälen, die allein zu Hause waren, als das Heizgerät im Schlafzimmer einen Kurzschluss hatte. Im Sommer beobachtet er im zweiten Stock in einer Wohnung ohne Fenster, mit schlechter Belüftung, wie die Leute von der Rechtsmedizin die aufgedunsenen Überreste eines sechsundachtzigjährigen Rentners aufladen, der im Bett starb und dort liegen blieb, bis den Nachbarn der Gestank zu viel wurde. Er tritt zur Seite, wenn der arme Teufel umgedreht wird, denn er weiß, dass der gärende Torso jederzeit aufplatzen kann. Er weiß auch, dass sich der Gestank in seine Kleider einnisten und sich dort und in seiner Nase für den Rest des Tages halten wird. Er sieht die Ertrunkenen, die mit den ersten warmen Frühlingstagen kommen, unddie sinnlos in Bars Erschossenen, die als fester Bestandteil zur ersten Hitzewelle im Juli gehören. In den frühen Herbstwochen, wenn sich die Blätter färben und die Schule wieder anfängt, verbringt er ein paar Tage in der Southwestern oder Lake Clifton oder einer anderen Highschool, wenn wieder einmal so ein siebzehnjähriges Wunderkind mit einer geladenen .357er zum Unterricht erschienen ist und einem Klassenkameraden auf dem Parkplatz einen Finger abgeschossen hat. Und an besonders schönen Tagen, die ihm das Jahr reichlich bietet, steht er im Keller eines städtischen Gebäudes an der Ecke Penn und Lombard in einem gefliesten Raum nahe der Tür und sieht zu, wie Rechtsmediziner mit viel Geschick Leichen sezieren.
Jedem Toten gibt er, was er geben kann, und nicht mehr. Er dosiert seine Kraft und seine Gefühle mit Sorgfalt, er schließt Akten und widmet sich dem nächsten Einsatz. Und trotz all seiner Dienstjahre mit zahllosen Einsätzen, Leichen, Tatorten und Vernehmungen hat ein guter Detective jedes Mal, wenn er den Hörer abnimmt, den trotzigen und unerschütterlichen Glauben, dass die Wahrheit ans Licht gebracht werden kann, wenn er seinen Job macht.
Ein guter Detective hält durch.
Montag, 18. Januar
Der Big Man sitzt mit dem Rücken zur grünen
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