Homicide
Metallwand, die die Büros der Dezernate Mord und Diebstahl voneinander trennt, und blickt gedankenverloren aus dem Eckfenster auf die Skyline der Stadt. Seine linke Hand umschließt einen Glasbecher in Form der Erdkugel, bis zum nördlichen Polarkreis gefüllt mit brauner Brühe aus dem Untersten der Kaffeemaschine. Vor ihm auf dem Schreibtisch liegt ein praller roter Ordner mit dem Aktenzeichen H8152. Er wendet sich vom Fenster ab und starrt den Ordner böse an. Der Ordner starrt zurück.
Es ist die Nachmittagsschicht und für Donald Worden – den Big Man, den Bär, den einzigen geborenen Detective, den es in Amerikas Polizei noch gibt – ist es der erste Arbeitstag nach einem langen Wochenende, das seine Laune nicht verbessert hat. Seine Teamkollegen spüren das, machen einen Bogen um ihn und betreten den Kaffeeraum nur, wenn es sich nicht vermeiden lässt.
»He!, Donald«, versucht es Terry McLarney bei einer dieser Stippvisiten. »Wie war das Wochenende?«
Worden antwortet seinem Sergeant mit einem Schulterzucken.
»Hast du was unternommen?«
»Nein«, sagt Worden.
»Okay, okay«, erwidert McLarney, »wenn du nicht reden willst …«
Es sind die Schüsse in der Monroe Street, die ihn an einen der Schreibtische in der Ecke des Kaffeeraums getrieben haben, wo er nun hockt wie ein auf Grund gelaufenes Schlachtschiff, das auf die nächste Flut wartet – auch wenn sie vielleicht nie kommen wird.
Der Fall ist fünf Wochen alt und der Lösung keinen Schritt näher als am Morgen danach, trotzdem hat der Tod von John Randolph Scott in der West-Baltimorer Monroe Street im Präsidium noch immer oberste Priorität. Kopien der Berichte Wordens und seines Partners gehen nicht, wie bei anderen Ermittlungen üblich, an seinen Sergeant und Lieutenant, sondern an den Verwaltungsleiter und den für die Abteilung Gewaltverbrechen verantwortlichen Captain. Von dort wandern sie den Flur hinunter zum Colonel, um dann dem stellvertretenden Polizeichef Mullen zwei Stockwerke drüber vorgelegt zu werden.
Die dürften aus den Berichten allerdings kaum etwas Neues erfahren. In den Gesprächen mit einem Vorgesetzten ist mittlerweile fast immer eine gewisse Paranoia zu spüren. Donald Worden kann schon fast hören, wie die Befehlskette nervös mit den Gliedern rasselt. Auch Worden sieht im Fall Monroe Street ein Pulverfass. Da braucht es nur noch den richtigen Gemeindeaktivisten oder Straßenprediger, der laut und lange genug Rassismus, Polizeiwillkür oder Vertuschung schreit, und der Bürgermeister oder der Polizeichef wollen Köpfe rollen sehen. Eher verwunderlich, dass es nicht schon längst geschehen ist.
Worden betrachtet durch das Westfenster des Kaffeeraums, wie die Sonne orangerot hinter die Skyline sinkt und sich der Winterhimmel zu einem tiefen Blau verdunkelt. Der Detective leert seinen ersten Becher Kaffee, geht zu dem metallenen Garderobenständer und zieht eine Zigarre aus der Innentasche seines beigefarbenen Mantels. Er raucht Backwoods, eine einfache Sorte, die man in jedem besser sortierten 7-Eleven kriegen kann.
Worden zieht eine dünne scharfe Rauchwolke hinter sich her, als er zum Schreibtisch zurückkehrt und den roten Ordner aufschlägt.
H8152
Tötungsdelikt/Schusswaffengebrauch im Dienst
John Randolph Scott schw./männl./22
Garrison Boulevard 3022, App. 3
CC#87-7L-13281
»Was für ein beschissener Fall«, sagt Worden leise. Er blättert durch die zuoberst abgehefteten Berichte. Dann schiebt er seinen Stuhl zurück, legt ein Bein auf den Schreibtisch und öffnet einen zweiten Ordner. Der enthält Farbfotos, je zwei pro Seite, auf beigebraune Trennblätter geklebt.
John Randolph Scott liegt auf dem Rücken auf einem Weg, der in einen Häuserblock führt. Mit seinem weichen und unverbrauchten Gesicht wirkt er jünger als zweiundzwanzig. Seine erstarrten leeren Augen sind nach Süden auf die seitliche Ziegelwand eines Reihenhauses gerichtet. Er trägt die gleiche Kleidung wie alle Straßenkids: schwarze Lederjacke, blaue Jeans, beigefarbenes Hemd und weiße Tennisschuhe. Ein anderes Foto zeigt ihn, nachdem er auf die Seite gerollt wurde, und die in Gummihandschuhen steckende Hand eines Detectives weist auf das kleine Loch im Rücken der Lederjacke – die Eintrittswunde. Das entsprechende Austrittsloch ist vorn in der linken Brustmitte. Über dem Auge des jungen Mannes sieht man eine von seinem Sturz auf den Beton verursachte blutunterlaufene Prellung.
Der Rechtsmediziner stellte später fest, dass
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