Homo ambrosius (Die Chimären) (German Edition)
hinter sich. Ergebnisorientiert, hart und fordernd gegenüber sich selbst und anderen. Er sagt, was er denkt, direkt und undiplomatisch. In der Summe ein hervorragender Führungsoffizier für Außeneinsätze. Er eignet sich für höhere Offiziersränge, zumindest bis zum Colonel. So weit das, was ich aus seinen Unterlagen und von Dritten über ihn erfahren habe. Alles andere nach dem morgigen Gespräch.“
„Sie denken nicht, dass er geeignet ist?“
Die Frage überraschte Mary Taydon nicht. Sie kannte Sawers gut genug, er hatte ein sehr feines Gespür für Unausgesprochenes.
„Nun, damit liegen Sie nicht falsch“, es war das erste Mal, dass Mary Taydon an diesem Nachmittag lächelte. „Ich bin mir recht sicher, dass Leutnant Fletcher nicht geeignet ist, da er nicht mehr formbar ist. Da ist zum einen sein Alter und zum anderen seine Erfahrung. Seine Verhaltensweisen, die im Einsatz wertvoll sind, werden ihn auf der administrativen und auf der politischen Ebene eher behindern.“
Sawers schlug die Akte Fletcher zu und legte sie auf den Stapel zu den anderen. Fletchers direkte und offene Art schätzte er persönlich sehr. Doch er wusste, worauf Mary Taydon anspielte. Es gehörte zum Tagesgeschäft des zukünftigen Leiters einer Geheimdienstabteilung, souverän und gewandt mit Politikern umzugehen, und Fletcher würde sich selbst und seiner Abteilung mit seiner direkten Art mehr schaden als nützen.
Sawers schob sieben Akten zu Mary Taydon. Sie würde sie wieder mitnehmen. Alle würden Karriere machen, keine Frage.
„Und nun zu diesem Mann, den Sie vorhin als faszinierend bezeichnet haben.“
Tobias hatte ein schlechtes Gewissen und er fühlte sich nicht wohl. Dass er sich nicht wohlfühlte, lag allerdings nicht an seinem schlechten Gewissen, sondern an seiner Umgebung. Er saß in einem Büro mit zwölf Arbeitsplätzen. Es war ein ständiges Kommen und Gehen. Geschwätz, Telefonate, die er zwangsweise mithören musste, und Unordnung. Wo er hinsah: Unordnung.
Mit zwei Stellwänden hatte er seinen Bereich ein wenig abgeschirmt. Sein Namensschild, eine Leiste mit Magnetbuchstaben, hatte er an den äußersten Rand des Schreibtisches geschoben, um deutlich sein Revier abzugrenzen.
Er saß seit einem Monat an diesem Schreibtisch und alles hatte sich ganz anders entwickelt, als er es sich vorgestellt hatte. Seine Unterkunft war okay. Er wohnte bei einer älteren Frau zur Untermiete, sie ließ ihn in Ruhe. Das spartanisch eingerichtete Zimmer reichte vollkommen für seine Bedürfnisse.
Er hatte simple Programmieraufträge, die ihn weder interessierten noch forderten. Er hatte sich vollkommen blauäugig auf dieses Abenteuer eingelassen, wie ihm inzwischen bewusst geworden war. Vor wenigen Wochen war er einfach aus Deutschland – und vor seiner Vergangenheit – geflüchtet.
Brian Fletcher, sein Vorgesetzter, hatte ihn in Frankfurt abgeholt, er war zwar sympathisch, gab Tobias aber nicht das Gefühl, dass er hier wirklich gebraucht wurde. Es war wohl naiv gewesen zu glauben, dass der MI6 ihn händeringend erwarten würde.
Während des Fluges nach London hatte Fletcher ihm erklärt, dass er, wie alle anderen, erst einmal drei Monate auf Probe eingestellt wurde. Anschließend könne er zunächst mit einer zeitlich begrenzten und wenn er sich bewährte mit einer unbegrenzten Anstellung rechnen. Falls es schiefging, würde man ihn nach der Probezeit wieder nach Hause schicken. Vor zwei Wochen war er sich noch sicher, dass genau das geschehen würde.
Inzwischen hatte er jedoch fünf Sitzungen mit Mary Taydon vom psychologischen Dienst hinter sich, beim letzten Mal hatte sie ihn mit den Worten verabschiedet, sie freue sich darauf, mit ihm länger zu arbeiten.
Diese Aussage irritierte ihn. Erst hatte er sie als Höflichkeitsfloskel abgetan, aber mittlerweile wusste er, dass alle Mitarbeiter regelmäßig von den Psychologen zu Gesprächen eingeladen wurden. Das beruhigte ihn und er fühlte sich definitiv eingestellt.
Er hatte ein schlechtes Gewissen, da er am Vormittag ein Gespräch über Brian Fletcher belauscht hatte. Mehr aus Spaß und um es einfach mal auszuprobieren, hatte er das Smartphone eines jungen Offiziers, Bob Bloth, gekapert und es zu einem Abhörsystem umfunktioniert.
Eine primitive Sache, er hatte lediglich ein Programm entwickelt und installiert, mit dem er das Mikrofon von Bloths Smartphone an- und ausschalten konnte – um so mitzuhören, was im Umfeld des Smartphones gesprochen wurde.
Als er
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