Die Maenner vom Meer - Roman
1
EIN MANN HIESS BOSI. Er war der Sohn des Tyn Halbtroll, der ein berüchtigter Berserker im Dienst der Könige von Uppsala gewesen war. Seinem Vater glich Bosi darin, daß ihn zuweilen, ohne warnende Vorzeichen, der Jähzorn überkam. Sonst war Bosi ein ruhiger und wortkarger Mann. Er sprach selten über Geschehnisse, die länger als zwei oder drei Tage zurücklagen. Deshalb wird es ein Rätsel bleiben, was ihn einst bewogen hatte, seinen Hof in Schonen zu verlassen und sich mit einem Boot, das kaum Platz genug für ihn und seine Familie bot, auf das Meer hinauszuwagen. Der Wind trieb ihn nach Westen, an manchen Inseln vorbei, die mit sattem Grün und fruchtbaren Ackern lockten. Aber Bosi nutzte den steten Ostwind, bis er über sandige Untiefen in einen weit ins Land greifenden Meeresarm gelangt war. Hier ging er an Land.
Zwei Tage und Nächte ließ Bosi seine Frau Vigdis und die Kinder unter dem Laubdach einer Weide allein. Am Morgen des dritten Tages kehrte er gutgelaunt zurück. Wortlos, wie es seine Art war, setzte er das Segel und steuerte das Boot dem Verlauf der Förde folgend nach Südwesten. An einigen Stellen war der Meeresarm schmal wie ein Fluß; dann wieder traten die Ufer weit auseinander, so daß man über einen See zu fahren glaubte. Gegen Abend kamen sie an eine Stelle, wo ein großer, seltsam geformter Stein am Ufer lag. Bosi zog das Boot ins Schilf und gab seiner Familie ein Zeichen, ihm zu folgen.
So kamen sie zu dem Platz, auf dem zuerst Bosis Hof und in späteren Jahren ein kleines Dorf entstehen sollten. Nach Asmund und Ingegärd, die bereits in Schonen geboren waren, machte Bosi seiner Frau Vigdis noch sieben Kinder, von denen zwei am Leben blieben: Tryn und Björn. Letzterer kam mit einer gespaltenen Oberlippe zur Welt und war sehr schmächtig, weshalb ihn Bosi, ohne ihm einen Namen zu geben, ins Wasser werfen wollte. Aber Vigdis schwor bei Freyr und Freya sowie dem goldborstigen Eber, sie werde ihm von Stund an das Beilager verweigern, falls er von seinem Vaterrecht Gebrauch mache. Dies verschlug dem einsilbigen Mann vollends die Sprache. Stumm benetzte er dem Säugling das Haar und überließ es Vigdis, ihn, nach ihrem Vater, Björn zu nennen. Damit tritt Björn Hasenscharte in unsere Geschichte ein.
Keiner unter denen, die ihn heranwachsen sahen, bezog Vigdis' Weissagung, von Bosis Söhnen werde einer an der Tafel des Königs sitzen, auf Björn. Denn während Asmund schon im Knabenalter die Blicke der Frauen auf sich zog und Tryn aus jedem Wettkampf als Sieger hervorging, war an Björn keine Eigenschaft zu erkennen, die eine glanzvolle Zukunft erhoffen ließ. Er war weder schön wie Asmund noch stark wie Tryn und mußte nicht einmal den Kopf einziehen, wenn er über die Schwelle trat. Seine Brüder nannten ihn, je nach Laune liebevoll oder abschätzig, den Kleinen; Vigdis verhätschelte ihn und ließ ihn, bis diese mannbar wurde, in einem Bett mit Ingegärd schlafen; was Bosi über ihn dachte, wissen wir nicht, denn er hüllte sich, wie üblich, in Schweigen.
Der Hof lag auf einer Lichtung inmitten eines Waldes hochstämmiger Buchen. Nach Norden grenzte der Wald an ein unwegsames Moor, das, wie die Einheimischen erzählten, von Elfen bewohnt war. In der entgegengesetzten Richtung führte ein Pfad durch dorniges Gestrüpp und mannshohes Schilf an die Förde.
Dort sehen wir Björn am Ufer hocken. Er lauscht den Stimmen der Wasservögel, dem Wispern der Wellen. Hechte lauern mit trägem Flossenschlag im Schilf, Schlangen winden sich um funkelnde Kiesel, eine Bö fällt auf die spiegelnde Wasserfläche, macht sie rauhund stumpf. Björn, in sich zusammengekauert, noch aus der Nähe betrachtet einem Stein zum Verwechseln ähnlich, ist nur Auge und Ohr.
Lange bevor die Schiffe hinter dem Wald auftauchen, künden die Warnlaute der Vögel ihm ihr Kommen an. Dann vernimmt Björn klatschenden Ruderschlag, das Knarren des Tauwerks, menschliche Stimmen. Nun erst sieht er die Schiffe, sieht die hochaufragenden Steven, die Riemenreihe, die sich gleichmäßig hebt und senkt und auf dem Wasser eine keilförmige Spur rasch sich vergrößernder und ineinanderfließender Ringe hinterläßt.
Die Schiffe gleiten nah an ihm vorüber, er kann die ausgemergelten Gesichter der Ruderer sehen, er hört ihr Keuchen, riecht ihren Schweiß. Wenn der Blick des Mannes am Vordersteven an ihm haftenbleibt, hält Björn den Atem an, sein Herzschlag stockt, und erst, wenn er spürt, daß der Blick ihn losläßt, wagt
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