Homo ambrosius (Die Chimären) (German Edition)
es an diesem Morgen angeschaltet hatte, hörte er zuerst viele Stimmen und das Klappern von Geschirr. Ein Kellner servierte Tee, Bloth befand sich also in einem Café oder einem Pub.
Zwei Männer, einer davon eindeutig Bob Bloth, unterhielten sich über einen alten Schulkollegen; Tobias wollte sich gerade wieder ausklinken, als ein vertrauter Name fiel, Brian Fletcher.
„Ich habe nichts wirklich Kompromittierendes über Fletcher gefunden. Er lebt für und in seinem Beruf. Uninteressante Familie, Freunde alle beim Militär. Er scheint ein Musterknabe zu sein. Seine Steuererklärung gibt er zwar auf den letzten Drücker ab, aber die ist, bis auf Belanglosigkeiten, immer korrekt. Seine Steuern zahlt er pünktlich. Seine Finanzen sind auch okay, er lebt nicht über seine Verhältnisse, ist eher sparsam.
Seine Krankenakte ist unauffällig, außer leicht erhöhten Cholesterinwerten keine Besonderheiten. Alkohol- und Drogenmissbrauch kann man ausschließen. Er ist zwei- bis dreimal im Monat bei immer wechselnden Prostituierten. Standardprogramm, nichts Spezielles. Das war es. Mehr habe ich nicht.“
Bob Bloth kommentierte den Bericht nicht. Tobias vermutete, dass Bloth’ Informant ihm seine Rechercheergebnisse noch in schriftlicher Form übergab. Als die beiden Männer sich über ein aktuelles Sportereignis unterhielten, beendete Tobias die Aktion.
Er hatte kein schlechtes Gewissen wegen dieser Lauschaktion. Er hatte ja selbst das Bedürfnis, alles über Personen, mit denen er sich beschäftigte, zu erfahren und kannte dabei keine Skrupel. Doch von den Informationen über Brians Sexualleben fühlte er sich unangenehm berührt.
Er war gerade eine Spur zu tief in Brian Fletchers Privatsphäre eingedrungen. Sein schlechtes Gewissen irritierte ihn.
Leutnant Brian Fletcher war zwei Jahre als Nachrichtenoffizier in Zypern stationiert, bevor er im Sommer 2012 zum MI6 abkommandiert wurde. In Zypern hatten sie den Funkverkehr aus Nordafrika und dem Nahen Osten abgehört.
Im Laufe der Jasminrevolution und der folgenden Unruhen in Nordafrika und Syrien hatte er die Cyberangriffe auf die Computersysteme der entsprechenden Staaten unterstützt. Das Ziel war dabei die Zerstörung oder zumindest die Störung der Kommunikations- und Führungssysteme der Regierungen. Quasi nebenbei hatten sie wahllos Datenbanken gelöscht und damit den Verwaltungen der betroffenen Länder schweren Schaden zugefügt.
An diese Zeit erinnerte sich Brian sehnsüchtig, als er sich mit dem Papierkram für Tobias Feist herumschlug. Er wusste nicht, was er von seinem neuen Schützling halten sollte. Tobias war nicht besonders kommunikativ und wirkte manchmal völlig abwesend. Wenigstens war er kooperativ, wenn Brian mal wieder mit einem neuen Dokument ankam, das ausgefüllt werden musste.
Den Großteil der Formalitäten hatte er bereits erledigt. Wie alle Neuen hatte man Feist für die ersten Monate auf Probe eingestellt – offiziell war er vorerst technischer Sachbearbeiter bei einer Firma, die dem britischen Geheimdienst zugeordnet war.
Die Sicherheitsüberprüfung war abgeschlossen und Tobias war der untersten Ebene zugeordnet worden, wie es für die Neuen üblich war. Über die Jahre würde sich das, wenn er sich entsprechend qualifizierte, ändern.
Eine erste Aufregung hatte es wegen des Fragebogens zu Tobias’ Gesundheitszustand gegeben. Tobias hatte geschrieben, dass er unter einer Erbkrankheit, dem Marfan-Syndrom, litt.
Die Ärzte stuften ihn nach der Untersuchung als chronisch krank ein, begannen eine medikamentöse Behandlung und setzten eine halbjährliche Pflichtuntersuchung an. Die Medikamente behandelten nur die Symptome und konnten die Auswirkungen der Krankheit lediglich mindern und hinauszögern. Da die Behandlung spät begonnen wurde, gab es schon irreparable Schäden am Gefäßsystem. Insbesondere das Herz war betroffen. Die Ärzte prognostizierten Tobias eine Lebenserwartung von fünfzig plus/minus fünf Jahre.
Die Behandlungskosten würde der britische Staat tragen, und so musste Brian begründen, warum man trotzdem an Tobias festhalten sollte. Dafür sprach – wie zynisch –, dass mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit für ihn nie ein Rentenanspruch fällig würde.
Brian hasste den Papierkram. Eine zweijährige Einstellung mit Aussicht auf eine einjährige Verlängerung machte am wenigsten Aufwand, also entschied er sich für diese Variante und nicht für eine längere Anstellung, denn die tausend Dokumente dafür hätte er
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