Homo ambrosius (Die Chimären) (German Edition)
landete – womit der Countdown zum 7. Juni 2037 begann.
Teil 1: Karrieren
September 2013 bis April 2015
Britische Karrieren
Sir Robert John Sawers, seines Zeichens Chef des MI6, des Secret Intelligence Service, musterte die Frau, die ihm gegenübersaß. Wenn möglich, ging er ihr aus dem Weg. Er hatte immer das Gefühl, sie könne in seinen Kopf hineinsehen.
Er hatte sie von seinem Vorgänger übernommen und diese Entscheidung – trotz allem! – bis zum heutigen Tage nicht bereut. Sie war eine Kapazität, er verließ sich auf sie und ihre psychologischen Gutachten. Vor ihm auf dem Schreibtisch lagen zwei Stapel Aktenmappen. Rechts sechs, links zwei. Er griff sich aus dem linken Stapel die Mappe, die oben lag, und schlug sie auf, warf einen kurzen Blick auf die Porträtaufnahme des jungen Offiziers.
„Von acht Offizieren haben Sie bisher sechs als Kandidaten für die oberste Führungsebene des MI6 abgelehnt. Ich hoffe, dass Sie sich die aussichtsreichsten bis zum Schluss aufgehoben haben“, sagte er. Er blätterte direkt weiter zum Beurteilungsbogen. „Leutnant Bob Bloth, Jahrgang 1985. Überdurchschnittliche Leistungen, in einzelnen Bereichen sogar exzellente. Erst seit knapp einem Jahr für uns tätig.“ Er legte die Mappe zurück auf den Schreibtisch und schaute wieder die Frau ihm gegenüber an. Eine starke Frau, selbstbewusst, respektvoll und ohne Angst gegenüber Vorgesetzten.
Mary Taydon nahm diesen Blick zum Anlass, ihre Empfehlung zusammenzufassen. „Bob Bloth hat von den acht Kandidaten das größte Potenzial, gleichzeitig ist er noch formbar. Hochintelligent, zielorientiert, ehrgeizig. Dies erklärt sich primär durch seine Abstammung und seinen schulischen Werdegang. Sein Vater ist seit über zwanzig Jahren Parlamentarier, seit fünf Jahren Vorsitzender des Verteidigungsausschusses. Bob Bloth hat zwei exklusive Privatschulen besucht, dann die Militärakademie in Sandhurst, dort konnte er zu vielen Sprösslingen von Größen aus Politik und Industrie Kontakte knüpfen. Er scheint sich dieses Privilegs und der damit verbundenen Möglichkeiten seit frühester Jugend bewusst zu sein. Er hat sich ein Netzwerk aufgebaut, das er mit Hingabe pflegt. Die Namen lesen sich wie das Who is Who der britischen Society.“
„Leistungen exzellent, gute Beurteilungen, ein Netzwerk, das noch wertvoller wird, sobald seine ehemaligen Schulkameraden selbst in entsprechende Ämter kommen. Wo sind seine Schwachstellen, was spricht gegen ihn?“
„Arroganz. Eine nervtötende Arroganz – vor allem gegenüber Menschen, die nicht in sein Weltbild passen. Mit Leuten, die ihm intellektuell überlegen sind und ihn das spüren lassen, hat er ein echtes Problem. Mit seiner Arroganz provoziert er Antipathien. Darunter leiden seine Führungseigenschaften, die er zweifelsohne hat. Hier muss und kann er noch geformt werden. Alle Details finden Sie in der Mappe.“
Sawers griff die nächste Mappe und schlug sie auf. „Ah, Leutnant Brian Fletcher. Guter Mann, ich mag ihn.“
„Vermutlich, weil Sie sich in gewisser Weise ähnlich sind, Sir. Brian Fletcher ist der einzige der acht Kandidaten, mit dem ich bisher noch nicht persönlich reden konnte, da er sich hauptsächlich im Außeneinsatz befindet und mein Auftrag ja lautete, den einzelnen Kandidaten zufällig zu begegnen.“
Sawers schmunzelte. Das war ein Seitenhieb auf eine seiner Vorgaben, mit der Mary Taydon nicht einverstanden gewesen war. Ihm war es wichtig, dass keiner der Kandidaten auch nur ahnte, dass er außerhalb der normalen und vor allem bekannten Routinen geprüft wurde. Bei einem offiziellen Termin hätten die Kandidaten nicht nur den Anlass hinterfragt, sondern möglicherweise auch eine Verknüpfung zu ihm, Sawers, hergestellt.
„Nun, ich werde Leutnant Fletcher morgen treffen. Er hat in Deutschland einen hochinteressanten Mitarbeiter rekrutiert, den wir gerade begutachtet haben.“
Schlagartig war Sawers Interesse geweckt: „Wenn Sie jemanden als hochinteressant bezeichnen und ihn persönlich sprechen, dann muss er mehr als nur hochinteressant sein.“
„In der Tat, eine faszinierende Persönlichkeit. Ich berichte gerne, lassen Sie mich aber zuerst Brian Fletcher abschließen. Er ist der Älteste der Kandidaten. Fletcher hat zunächst die Unteroffizierskarriere eingeschlagen und wurde erst später Offizier. Deswegen der im Vergleich zu seinem Dienstalter niedrige Dienstrang. Er ist Pragmatiker, er hat mehrere erfolgreiche Außeneinsätze
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