Homo ambrosius (Die Organhändler) (German Edition)
hast noch zu wenig Geduld, und du denkst nicht langfristig genug. Denk an das Go-Spiel, wir wollen nicht beherrschen, wir wollen besitzen. Und du weißt, wer besitzt, der befiehlt am Schluss. Was würde sich deiner Meinung nach in dreißig bis vierzig Jahren lohnen, in Europa zu besitzen?“
Da war bei ihm der Groschen gefallen, wie man in Deutschland sagte. Auf einmal war alles klar, einfach, so erstrebenswert. Nicht herrschen, nicht vernichten, sich nicht in die Politik der einzelnen Staaten einmischen, einfach nur besitzen. Land, das war es, Agrarland und Lebensraum! China musste seine stetig wachsende Bevölkerung ernähren und es benötigte neue Lebensräume, denn in den nächsten Jahrzehnten würde sich die Bevölkerung verdoppeln. Und natürlich Wasser. Europa schwamm in Wasser.
„Wir haben vor einigen Jahren in Deutschland eine Bank gegründet. Die Chinesische Europäische Investmentbank, CEI. Zu Beginn wirst du eine untergeordnete Rolle in der Bank spielen, später werden wir dich in höhere Positionen schieben. Die Bank ist das Instrument, um unsere Ziele in Europa durchzusetzen. Konkret hast du zwei Aufgaben.
Erstens den Erwerb von zukunftsträchtigen Unternehmen und Immobilien, hier insbesondere Agrarland und Wälder. Zweitens das Sammeln von Informationen. Unsere Ingenieure und Wissenschaftler sind begierig nach Wissen. Du kannst auf die modernste Technik und unsere besten Leute zurückgreifen. Zehntausende unserer Landsleute arbeiten in europäischen Firmen und Hochschulen, alles potenzielle Informanten.“
Sie hatten einen Moment geschwiegen, und als sein Vater weitersprach, hatte Dérúgo zum ersten Mal begriffen, wie tief dieser tatsächlich in die chinesische Politik involviert war.
„Europa. Wir wollen Europa langfristig von der US-amerikanischen Ausrichtung ablösen. Wir sehen dies als einen wichtigen Baustein, um unser langfristiges Ziel zu erreichen, den Aufstieg Chinas zur führenden Welt- und Wirtschaftsmacht.
Außerdem“, sein Vater hatte angefangen zu lachen, „wird dir deine Arbeit bei der CEI die Möglichkeit geben, deinen Unterhalt und deine Hobbys zu finanzieren.“
Dieser Satz war auch das Ende ihres Gespräches gewesen. Er hatte sehr wohl die Botschaft verstanden, dass er sich ab sofort selbst um seine Einnahmen zu kümmern hatte. Er musste also eine zusätzliche Einnahmequelle finden, um weiter seine teuren Vorlieben pflegen zu können.
Dérúgo Feng riss sich aus der Vergangenheit. Dieses Gespräch mit seinem Vater war ein Meilenstein in seinem Leben gewesen. Seitdem reiste er mit Freude nach Europa und Deutschland. Wenn er um die Welt flog oder wie jetzt aus China nach Frankfurt zurückkehrte, genoss er es, europäische und insbesondere Onlineausgaben britischer und deutscher Zeitungen zu lesen.
Jede schlechte Nachricht war ihm ein Vergnügen. Besonders gern las und hörte er alles, was für ihn den gesellschaftlichen Niedergang Europas beschrieb – die Schuldenkrise, die Probleme im Gesundheitswesen, Arbeitslose, insbesondere Jugendarbeitslosigkeit, Hartz IV, Streiks gegen Sparmaßnahmen, Steuererhöhungen, die Landflucht, brennende Autos in Paris und London, Staaten kurz vor der Pleite, korrupte Politiker, zunehmende Armut und die Hilflosigkeit der Politik.
Sein Chauffeur würde ihn quer durch Deutschland fahren, und der Blick auf zerfallende Industrieanlagen, Wohnsiedlungen und Straßen würde ihm eine morbide Befriedigung verschaffen. In den Städten würde er Obdachlosen großzügig Zehneuroscheine zustecken, in dem Wissen, dass sie das Geld sofort in Alkohol umsetzten.
Vorhin hatte er gelesen, dass in Italien der Polizei das Geld fehlte, um Benzin für ihre Fahrzeuge zu kaufen. Er hatte gelacht und sich gefreut wie ein Kind. Genauso hatte er sich vor wenigen Tagen über das Lob seines Vaters Wei Feng und der Regierungsvertreter gefreut. Ihre Strategie ging auf.
Ohne dass es die Öffentlichkeit mitbekam, kaufte die CEI landwirtschaftliche Flächen und Wälder auf. Die europäischen Kommunen waren dankbar, schnell und einfach an frisches Kapital zu kommen. Sie drängten der CEI ihr Tafelsilber geradezu auf, und immer häufiger konnte die Bank den Preis diktieren.
Ein Glücksfall war die Erbschaftssteuer in den europäischen Staaten, die man im Rahmen der Schuldenkrise verschärft hatte. Die Steuern für das Erbe von Immobilien, insbesondere größerer Land- oder Forstflächen, konnte kaum noch jemand aufbringen: Hier sprang die CEI gerne ein. Europa musste man
Weitere Kostenlose Bücher