Homogen
mit stahlblauen Augen und goldenem Haar. Seine große grazile Statur zeugte von Sportlichkeit und Jugend. Er hatte eine kühle Ausstrahlung und einen nordischen Touch. Seine Schritte gingen stets in weichen Übergängen, so dass er nicht plump und ungrazil wirkte. Darauf legte er überaus großen wert. Außerdem pflegte er sich und seinen Körper fortwährend und lies keinerlei Abweichung seiner täglichen Hygiene gelten.
Sogar in der größten Not und bei schmerzlichster Krankheit, hatte er es geschafft, sich wenigstens die Haare zu kämmen und die Zähne zu putzen, damit seine Umwelt ihn nicht als liederlich ertappte.
Nun war er endlich im Atelier angekommen. Nachdem er sich für ein volles Jahr eines schwersten Praktikums unterzogen hatte, war es ihm gelungen, eine eigene Kollektion auf die Beine zu stellen, die prompt ein Erfolg wurde. Seither platzte das Geschäft aus allen Nähten und die Aufträge stapelten sich.
Christian betrat das moderne Hochhaus, welches mit Spiegelglasfassade und Lärmdämmung eine wahre Errungenschaft der modernen Baukunst darstellte. Innen wurde man mit einer luxuriösen Einrichtung und einer aufgedonnerten Empfangsdame begrüßt, die gerade gelangweilt ihre Nägel feilte. Ihre zusammengekniffenen Lippen verrieten die vielen Zurückweisungen, die sie über die Jahre hatte ertragen müssen und ihr Faltenkranz um die Mundwinkel herum, ihre Verbitterung darüber. Christian verglich sie bisweilen mit einem Pavian, dessen Witz allerdings ausgenommen.
„Guten Morgen Vicky!“, grüßte er sie freundlich. „Guten Morgen Herr Designer! Gut geschlafen?“, erwiderte sie ihm träge. Christian betrat den großen Fahrstuhl, der ihn in die 20. Etage bringen sollte ohne die Empfangsdame weiter zu beachten. In Sekundenschnelle rauschte er hoch und stieg auch schon wieder aus dem modernen Aufzug heraus.
Als er das Großraumbüro betrat, blies ihm sogleich die hektische Stimmung ins Gesicht. Telefone klingelten und nervöse Mitarbeiter klapperten eifrig auf ihren Computertastaturen herum, während sie sich erfolgreich hinter ihren Monitoren versteckten. Frischer Kaffeeduft stieg Christian in die Nase und er bekam sofort Appetit auf eine Tasse.
Im abgetrennten Atelierbereich war eine weitaus bessere Stimmung. Ruhige und entspannte Mitarbeiter verbreiteten eine sanfte Atmosphäre, die weiterhin von den warmen mediterranen Farbtönen an der Wand unterstützt wurde. Überall lagen farbenfrohe Stoffmuster herum und Schaufensterpuppen wurden an- und ausgezogen.
Christian ging erleichtert in sein Büro und setzte sich an seinen Schreibtisch. Er atmete erst einmal tief durch und schaute in Erinnerungen schwelgend auf das Familienportrait, welches er neben seinem Computer aufgestellt hatte. Es zeigte ihn mit seinen Eltern beim Skiurlaub vor vier Jahren. Immer wenn er auf dieses Foto sah, überkamen ihn eine gewisse Wärme und das Gefühl der Geborgenheit. Ja, er liebte seine Eltern und hatte ein gutes Verhältnis zu ihnen.
Eine leichte Brise wehte vom offenen Fenster hinein und verteilte die morgendliche Frische im Raum. Dann pochte es an der Tür. Emilian trat ein. „Guten Morgen. Schlecht geschlafen?“, fragte er ihn verdutzt mit seiner tiefen, wohlklingenden Stimme.
„Guten Morgen“, erwiderte Christian ihm.
„Nein, nur wieder einmal so ein Morgen, der mit Schuldgefühlen beginnt.“
„Ja, ich weiß, was du meinst. Ich habe auch immer das Gefühl etwas zu verpassen, wenn ich bei solch einem schönen Wetter arbeiten muss!“
Im Gegensatz zu Christian umgab sich Emilian stets mit jungen und vor allem neuen Liebhabern.
Seine längste Bekanntschaft dauerte fünf Monate lang. Meist verloren seine Liebschaften ihren Reiz für ihn, sobald sie an seiner Person etwas mehr Interesse bekundeten. Wie eine überreife Blume, die langsam ihren Glanz verlor, welkte seine Begeisterung für den Interessenten. Es schien fast so, als hätte er eine große Festung um sein Herz gebaut, mit einem tiefen Burggraben als unüberwindbare Barriere. Nur Christian und ein paar gewählte Personen durften ihn ab und zu in seiner Festung besuchen. Zurzeit waren beide wieder einmal solo.
„Das Leben könnte doch so einfach sein, wenn man immer nur das tun könnte, worauf man Lust hätte“, entgegnete Christian seinem Freund. Emilian zog stutzig seine Brauen hoch, die durch seine spanischen Vorfahren dunkel und buschig geprägt
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