Honeymoon
hatte. Nora betrank sich niemals; allein die Vorstellung, sich nicht mehr hundertprozentig unter Kontrolle zu haben, war ihr ein Gräuel. Aber der Abend mit Elaine und Allison war so nett gewesen, die Stimmung so ausgelassen, dass sie am Ende doch einen klitzekleinen Schwips gehabt hatte.
Zwei Gläser Wasser, zwei Aspirin.
Dann schlüpfte sie in ihren Lieblingspyjama und öffnete die unterste Schublade ihrer riesigen Kommode. Dort lag, versteckt unter mehreren Kaschmirpullovern von Polo, ein Fotoalbum.
Nora schloss die Schublade und schaltete alle Lichter bis auf ihre Nachttischlampe aus. Dann stieg sie ins Bett und schlug die erste Seite des Albums auf.
»Wie alles angefangen hat«, flüsterte sie.
Die Bilder waren chronologisch angeordnet, eine fotografische Dokumentation ihrer Beziehung mit der ersten Liebe ihres Lebens, dem Mann, den sie Dr. Tom nannte. Ihr allererster gemeinsamer Wochenendausflug in die Berkshires; ein Konzert in Tanglewood; Aufnahmen aus ihrer Suite im Gable Inn in Lenox.
Die nächste Seite zeigte sie beide bei einer Medizinertagung in Phoenix, zu der er sie mitgenommen hatte. Sie hatten im Biltmore gewohnt, einem ihrer Lieblingshotels – allerdings nur, wenn man im Hauptgebäude untergebracht war.
Es folgten einige Schnappschüsse von ihrer Hochzeitsfeier im Wintergarten des Botanischen Gartens von New York.
Die nächsten Seiten dokumentierten ihren Honeymoon auf der Karibikinsel Nevis. Fantastisch – eine der besten Wochen ihres Lebens.
Dazwischen weitere Erinnerungen – Partys, Empfänge, lustige Grimassen für die Kamera. Nora, wie sie mit der Zunge ihre Nasenspitze berührte. Tom, wie er die Oberlippe schürzte wie Elvis. Oder sollte das vielleicht Bill Clinton sein?
Dann hörten die Fotos auf.
Stattdessen Zeitungsausschnitte.
Die letzten Seiten des Albums waren ganz mit Pressemeldungen ausgefüllt. Die verschiedenen Reportagen, dann die Todesanzeige – das Papier war vom Alter schon leicht vergilbt.
»Chaos in der Notaufnahme: Manhattaner Top-Arzt tot«
, schrieb die NEW YORK POST.
»Arzt wird Opfer seiner eigenen Medizin«
, formulierte die DAILY NEWS. Die NEW YORK TIMES war da schon nüchterner. Nur ein schlichter Nachruf mit der sachlichen Überschrift:
»Der bekannte Kardiologe Dr. Tom Hollis stirbt im Alter von
42
Jahren.«
Nora klappte das Album zu. Allein mit ihren Gedanken über Tom und das, was damals geschehen war, lag sie in ihrem Bett. Eigentlich war es der Anfang von allem gewesen, der Startschuss für ihr Leben. Es war ganz natürlich, dass sich ihre Gedanken nun Connor und Jeffrey zuwandten. Ihr Blick fiel auf ihre linke Hand, die derzeit keiner der beiden Ringe zierte. Sie wusste, dass sie eine Entscheidung treffen musste.
Instinktiv begann Nora im Kopf zwei Listen zu erstellen. Präzise und fein säuberlich geordnet. Alles, was ihr an dem einen gefiel, verglich sie mit den Vorzügen des anderen.
Connor kontra Jeffrey.
Sie waren beide so amüsant. Sie brachten sie zum Lachen, gaben ihr das Gefühl, etwas Besonderes zu sein. Und eines war ganz unbestreitbar: Sie waren beide unglaublich gut im Bett – oder wo auch immer sie gerade Sex hatten. Sie waren beide groß, topfit und sahen aus wie Filmstars. Nein, falsch: Sie sahen beide besser aus als alle Filmstars, die Nora kannte.
Tatsache war, dass Nora genauso gerne mit Connor wie mit Jeffrey zusammen war. Was ihre Entscheidung umso schwieriger machte.
Wen von beiden würde sie töten?
Als Erstes.
11
Okay, jetzt wird's ein bisschen knifflig.
Und auch ganz schön riskant.
Der Tourist saß an einem Ecktisch in einem Starbucks-Café an der West Twentythird in Chelsea. Fast alle Tische waren mit professionellen Herumlungerern und Schnorrern besetzt, aber hier fühlte er sich einfach sicher und geborgen. Wahrscheinlich gerade weil so viele apathische Null-Bock-Typen hier herumhingen – und mal ehrlich, bei drei Dollar und ein paar Zerquetschten für eine Tasse Kaffee kann man doch ruhig ein bisschen mehr erwarten, einen gewissen Bonus sozusagen.
Der Koffer, den er sich vor der Grand Central Station unter den Nagel gerissen hatte, stand am Boden zwischen seinen Beinen. Inzwischen wusste er schon ein bisschen mehr darüber.
Erstens: Er war nicht verschlossen.
Zweitens: Er enthielt diverse ziemlich zerknitterte Männerklamotten und einen Toilettenbeutel aus braunem Leder.
Drittens: Der Toilettenbeutel enthielt das Übliche – Rasierzeug und dergleichen –, aber auch eine kleine Überraschung: einen
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