Honeymoon
ist hier der Boss?«
»Du«, antwortete der Tourist und nickte unterwürfig. »Sag mir einfach, was ich tun soll, mein Freund. Herrgott noch mal, wenn's unbedingt sein muss, lege ich auch meine Knarre auf den Boden, okay?«
Der Mann starrte den Touristen an. Wieder verengten sich seine Augen zu Schlitzen. »Okay, aber das machst du ganz langsam«, sagte er.
»Klar. Gaaanz, gaaaanz langsam. Wollte ich auch gerade sagen.«
Der Tourist ließ die Hand mit der Waffe sinken. Hinter einer nahen Telefonzelle war ein unterdrückter Schreckenslaut zu hören, gefolgt von einem ähnlichen Geräusch, das hinter einem geparkten Lieferwagen auf der Fortysecond Street hervorkam. Die Schaulustigen, die in Deckung gegangen waren, sich aber dennoch das dramatische Geschehen nicht entgehen lassen wollten, dachten alle das Gleiche. Tu's nicht, Junge. Schmeiß bloß nicht deine Knarre weg. Er wird dich abknallen! Und das Mädchen auch!
Der Tourist ging in die Hocke. Vorsichtig legte er die Waffe auf den Gehsteig.
»Siehst du – ganz langsam«, sagte er. »Was soll ich jetzt machen?«
Der Dicke begann so herzhaft zu lachen, dass sich der wirre, ungepflegte Schnurrbart unter seiner Nase aufbauschte. »Was du jetzt machen sollst?«, wiederholte er. Das Lachen wurde noch lauter. Er konnte sich gar nicht mehr einkriegen.
Plötzlich hörte er abrupt auf zu lachen. Seine Miene wurde starr. Er nahm die Pistole von der Schläfe der jungen Frau und richtete den Lauf genau auf den Touristen. »Was du machen sollst? Sterben sollst du!«
Dann ließ er seinen Worten Taten folgen.
Der Tourist.
Im Bruchteil einer Sekunde, mit einer einzigen, schnellen, fließenden Bewegung, griff er unter sein Hosenbein, zog eine 9-mm-Beretta aus dem dort verborgenen Halfter, riss den Arm nach vorne und feuerte. Der Schuss krachte, ehe irgendjemand wusste, was überhaupt passiert war. Einschließlich des Dicken.
Das Loch in seiner Stirn hatte ungefähr den Durchmesser einer Zehn-Cent-Münze. Einen Moment lang stand er vollkommen reglos da, wie eine überdimensionale Buddhastatue. Die Schaulustigen schrien, die junge Frau mit dem Rucksack fiel auf die Knie, und mit einem grässlichen, dumpfen Krachen landete der Dicke auf dem schmutzigen, mit Abfall übersäten Gehsteig. Das Blut sprudelte aus ihm hervor wie aus einem Springbrunnen.
Der Tourist steckte unterdessen seine Beretta in das Unterschenkelhalfter und die andere Waffe in seine Gürteltasche zurück. Dann richtete er sich auf und ging auf den Koffer zu. Er hob ihn auf und trug ihn zu einem blauen Ford Mustang, der in zweiter Reihe auf der Straße stand. Der Motor war die ganze Zeit gelaufen.
»Schönen Tag noch, die Herrschaften«, sagte er zu den Umstehenden, die ihn betroffen schweigend beobachteten. »Sie haben echt Glück gehabt«, rief er der jungen Frau zu, die sich fest an ihren Rucksack klammerte.
Dann setzte sich der Tourist hinter das Steuer des Mustang und fuhr davon.
Mit dem Koffer.
8
Die Ampel sprang auf Grün, und der New Yorker Taxifahrer trat aufs Gaspedal, als ob er einen fetten Käfer zerquetschen wollte. Tatsächlich hätte er um ein Haar einen Fahrradkurier zerquetscht – ein Exemplar jener seltenen, von Wagemut und Todessehnsucht getriebenen Spezies, für die rote Ampeln und Stoppschilder nur absurde Vorschläge waren; Witze, über die kein Mensch lachen konnte.
Als der Taxifahrer mitten auf der Kreuzung voll auf die Bremse stieg, machte der Radkurier einen Schlenker und fuhr ungerührt weiter, nachdem er mit seinem Rennrad die Stoßstange des Taxis nur um wenige Zentimeter verfehlt hatte.
»Arschloch!«, rief ihm der Radler über die Schulter zu.
»Selber Arschloch!«, schrie der Taxifahrer und zeigte ihm den Stinkefinger. Er warf Nora auf dem Rücksitz einen kurzen Blick zu und schüttelte angewidert den Kopf. Dann trat er wieder das Gaspedal durch, als ob nichts passiert wäre.
Nora schüttelte den Kopf und lächelte.
Es war doch gut, wieder zu Hause zu sein.
Der Taxifahrer setzte seine halsbrecherische Fahrt fort – über die Second Avenue in südlicher Richtung auf Lower Manhattan zu. Nach einigen Minuten relativer Stille schaltete er das Radio ein. Es war der Nachrichtensender 1010 News.
Ein Mann mit einer tiefen, wohltönenden Stimme beendete gerade einen Bericht über die neueste Finanzkrise der Stadt, als er seine Moderation für eine wichtige Meldung aus Midtown Manhattan unterbrach. Er übergab an eine Reporterin vor Ort.
»Vor etwa einer halben Stunde hat
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