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Honig

Honig

Titel: Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McEwan
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Sondierungsgespräche weiter. Nach dem Examen für die Staatsbeamtenlaufbahn wurde der eine oder andere immer noch beiseitegenommen und gefragt, ob er je daran gedacht hätte, für eine »andere« Abteilung zu arbeiten. Normalerweise trat man unauffällig an die Leute heran, wenn sie sich schon ein paar Jahre lang draußen in der Welt getummelt hatten. Niemand brauchte das auszusprechen, aber Herkunft blieb wichtig, und ein Bischof in meiner Familie war nicht von Nachteil. Es hat lange gedauert – darauf ist oft hingewiesen worden –, bis Fälle wie die von Burgess, Maclean und Philby die Auffassung ins Wanken brachten, Personen einer bestimmten Klasse verhielten sich ihrem Land gegenüber eher loyal als andere. In den Siebzigern waren diese berühmten Verräter noch nicht vergessen, aber die alten Anwerbemethoden hielten sich hartnäckig.
    In der Regel gehörten sowohl Hand als auch Schulter einem Mann. Eine Frau auf diese oft beschriebene, altehrwürdige Weise anzusprechen, war ungewöhnlich. Es ist nicht zu bestreiten, dass Tony Canning mich am Ende für den MI 5 rekrutierte, aber seine Motive waren kompliziert, und er hatte keine offizielle Genehmigung. Dass ich jung und attraktiv war, hat für ihn wohl eine Rolle gespielt, auch wenn es seine Zeit dauerte, bis das in seinem ganzen Pathos offenbar wurde. (Heute, wo der Spiegel etwas anderes sagt, kann ich es aussprechen und hinter mich bringen. Ich war wirklich hübsch. Mehr als das. Wie Jeremy einmal im Überschwang eines seiner seltenen Briefe schrieb, war ich »sogar [27] ziemlich umwerfend«.) Auch die hochrangigen Graubärte im fünften Stock, die ich niemals kennengelernt und in meiner kurzen Dienstzeit kaum zu Gesicht bekommen habe, hatten keine Ahnung, warum man mich zu ihnen geschickt hatte. Sie rätselten herum, kamen aber nie darauf, dass Professor Canning, selbst ein alter MI 5-Haudegen, ihnen ein Geschenk zu machen glaubte, im Geiste der Wiedergutmachung. Sein Fall war komplexer und trauriger, als irgendjemand ahnte. Der Mann veränderte mein Leben, er agierte mit selbstloser Härte und begab sich auf eine Reise ohne Hoffnung auf Wiederkehr. Dass ich auch jetzt noch so wenig von ihm weiß, liegt daran, dass ich ihn nur ein sehr kurzes Stück auf seinem Weg begleitet habe.

[28] 2
    Meine Affäre mit Tony Canning währte nur wenige Monate. Anfangs traf ich mich auch noch mit Jeremy, aber nach den Abschlussprüfungen Ende Juni zog er nach Edinburgh, um dort seinen Doktor zu machen. Das erleichterte mir das Leben, auch wenn es mich immer noch wurmte, dass ich nicht hinter sein Geheimnis gekommen war und ihm keine Befriedigung hatte verschaffen können. Er hatte sich nie beklagt oder einen unglücklichen Eindruck gemacht. Ein paar Wochen später schrieb er mir in einem zärtlichen, reumütigen Brief, er habe sich in einen jungen Deutschen aus Düsseldorf verliebt, den er bei einem Violinkonzert von Max Bruch in der Usher Hall spielen gehört habe, einen Geiger mit vorzüglicher Intonation, insbesondere im langsamen Satz. Sein Name sei Manfred. Aber natürlich. Hätte ich nur etwas altmodischer gedacht, wäre ich von selbst darauf gekommen, denn es gab einmal Zeiten, als die sexuellen Probleme aller Männer immer nur eine Ursache hatten.
    Wie praktisch. Das Rätsel war gelöst, ich brauchte mich nicht mehr um Jeremys Glück zu sorgen. Er bemühte sich rührend, mich zu trösten, bot sogar an, mich zu besuchen und mir alles zu erklären. In meinem Antwortbrief gratulierte ich ihm, übertrieb ein wenig, wie sehr ich mich für [29] ihn freute, und kam mir dabei sehr reif vor. Solche Liebschaften waren erst seit fünf Jahren legal und für mich noch etwas Neues. Ich schrieb, die weite Reise nach Cambridge sei nicht nötig, ich werde ihn immer in bester Erinnerung behalten, er sei ein ganz wunderbarer Mann, ich freue mich schon, Manfred eines Tages kennenzulernen, lass uns bitte in Verbindung bleiben, leb wohl! Ich hätte ihm gern dafür gedankt, dass er mir Tony vorgestellt hatte, wollte aber nicht unnötig Verdacht erregen. Auch Tony erzählte ich nichts von seinem ehemaligen Studenten. Jeder wusste so viel, wie er zu seinem Glück zu wissen brauchte.
    Und wir waren glücklich. Jedes Wochenende trafen wir uns in einem abgeschiedenen Cottage unweit von Bury St. Edmunds in Suffolk. Man bog von einem stillen Sträßchen auf einen kaum erkennbaren Feldweg ein, hielt am Saum eines Waldes mit uralten Kopfweiden und erblickte dort, versteckt hinter

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