Honor Harrington 9. Der Stolz der Flotte
die ringsum wimmelnden Menschen. Cromarty ließ die Mundwinkel zucken. Warum nur gibt es eigentlich auf jeder Totenwache etwas zu essen? , fragte er sich nun. Vielleicht, weil der simple Akt des Essens in uns den Glauben ermutigt, dass das Leben weiter geht? Sollte es wirklich so einfach sein?
Er wischte den Gedanken beiseite und schaute sich um. Die vom Protokoll festgelegte offizielle Choreografie der Trauerfeier war abgeleistet, und zum ersten Mal seit Tagen, so wollte es ihm vorkommen, konnten Alexander und er trotz der Menschen ringsum ein Wort unter vier Augen sprechen. Lange konnte ihre Abgeschiedenheit freilich nicht anhalten. Bald schon musste jemand bemerken, dass sie beide allein an der Wand standen, und dann würde dieser Jemand sich auf sie stürzen, um mit ihnen einen absolut lebenswichtigen Aspekt der Politik oder der Regierungsgeschäfte zu besprechen. Doch im Augenblick brauchten sie keine neugierigen Ohren zu fürchten, und der Premierminister gestattete sich ein erschöpftes Seufzen.
»Ich auch«, gab er genauso leise zu. »Aber ich möchte wissen, wie man sie auf Grayson bestattet hat?«
»Wahrscheinlich ähnlich wie bei uns … nur viel aufwändiger«, entgegnete Alexander.
Nach aller Wahrscheinlichkeit zum allerersten Mal in der Geschichte hatten das Protectorat von Grayson und das Sternenkönigreich von Manticore zwei simultane Staatsbegräbnisse für die gleiche Person arrangiert. Für zwei Planeten, die mehr als dreißig Lichtjahre voneinander entfernt sind, mag das Konzept der Gleichzeitigkeit sinnlos erscheinen, doch Königin Elisabeth und Protector Benjamin hatten unnachgiebig darauf bestanden. Der Umstand, dass es keinen Leichnam gab, hatte das Vorhaben eher erleichtert als erschwert, denn dadurch brauchte man sich nicht über die Frage zu streiten, im Boden welcher ihrer beiden Heimatwelten Honor Harrington nun eigentlich ruhen sollte.
»Ich war überrascht, dass der Protector uns das Schwert von Harrington für die Zeremonie ausgeliehen hat«, sagte Cromarty. »Natürlich auch sehr dankbar, aber vor allem überrascht.«
»Eigentlich hat er es gar nicht entschieden«, erklärte Alexander. Als Cromartys Stellvertreter war er für die Koordination mit Grayson verantwortlich gewesen, die über den Botschafter des Protectors auf Manticore erfolgte, und kannte sich weit besser mit den Einzelheiten aus als Cromarty, der dafür keine Zeit erübrigen konnte. »Das Schwert gehört dem Gut von Harrington und der Gutsherrin, und daher lag die Entscheidung nicht beim Protector, sondern bei Lord Clinkscales. Und Clinkscales hat nicht lange mit Benjamin gestritten – schon gar nicht, nachdem Lady Harringtons Eltern unsere Bitte unterstützten. Außerdem hätten die Graysons sonst zwei Schwerter in ihre Trauerzeremonie einbauen müssen.« Cromarty sah ihn fragend an, und Alexander zuckte mit den Schultern. »Sie war doch Benjamins Champion, Allen. Deshalb hat ihr auch das Staatsschwert gehört.«
»Daran habe ich gar nicht mehr gedacht«, sagte Cromarty und rieb sich müde die Stirn.
Alexander schnaubte leise. »Hast du etwa andere Dinge im Kopf gehabt?«, fragte er mit milder Ironie.
»Ja, tatsächlich. Leider verdammt wahr.« Cromarty seufzte wieder. »Hast du schon gehört, was Hamish von der Stimmung auf Grayson hält? Ich will ganz offen zu dir sein: Als der graysonitische Botschafter mir offiziell sein Beileid aussprach, hätte ich mir vor Angst fast in die Hose gemacht. Mit der persönlichen Mitteilung des Protectors an die Königin könnte man Laser-Gefechtsköpfe bestücken. Nachdem ich sie gelesen hatte, war ich jedenfalls sehr froh, kein Havie zu sein!«
»Das überrascht mich kein bisschen.« Alexander vergewisserte sich mit einem raschen Rundblick davon, dass tatsächlich keiner der Umstehenden hören konnte, was sie sagten, dann sah er Cromarty in die Augen. »Für meinen Geschmack hat dieser Hundesohn von Boardman seinen Trumpf von wegen ›an Vergeltung solltet ihr noch nicht mal denken‹ verflucht gut ausgespielt«, knurrte er mit tiefer Abscheu. »Selbst diejenigen Neutralen, die normalerweise nach uns am meisten von den Taten der Havies abgestoßen sind, erwarten plötzlich von uns, dass wir auf jede Form von Vergeltung verzichten, weil wir die ›Guten‹ sind. Aber nach dem zu urteilen, was Hamish berichtet, steht die ganze Grayson Space Navy sozusagen Gewehr bei Fuß bereit, um der havenitischen Propagandamühle mehr zu mahlen zu geben, als Ransom und ihr Verein es
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