Horror Factory - Der Behüter(German Edition)
Piercing-Schmuck auslagen. Neben dem Schaukasten hingen gerahmte Fotos von tätowierten und gepiercten Körperteilen. Alenka schauderte. Sie selbst hatte noch nicht einmal Ohrlöcher vorzuweisen.
Ein Durchgang mit Perlenvorgang führte in einen Nebenraum. Von dorther schien der schwache, klinisch wirkende Alkoholgeruch zu rühren, der das Studio erfüllte, und ebenso ein monotones Summen wie aus dem Behandlungszimmer eines Zahnarztes.
»Einen Moment noch! Bin gleich da!«, tönte eine Stimme hinter den Perlenschnüren hervor. Alenkas Blick wanderte zur Sitzecke. Aber dann zog sie es vor, zu stehen.
Nach einer gefühlten halben Stunde teilte der Perlenvorhang sich, und Ralf kam zum Vorschein. Der Ladeninhaber hatte halb transparente Einweghandschuhe an. Sein Oberkörper war entblößt, sodass man die zahlreichen Tätowierungen bewundern konnte. Durch eine Milchglasscheibe betrachtet, überlegte Alenka, würde der Mann aussehen, als habe man ihn grün und blau geprügelt.
Er taxierte sie mit einem schnellen Blick. »Guten Tag. Was kann ich für dich tun?«
»Vielleicht können Sie … ähm … kannst du mir mit einer fachlichen Auskunft helfen«, brachte sie über die Lippen. »Würdest du mal einen Blick auf diese Bilder werfen?« Sie hielt ihm den Computerausdruck hin.
Er nahm ihn entgegen. Kaum hatte er hingesehen, schoss sein Blick wieder nach oben, und er starrte Alenka aus schmalen Augen an.
»Was könnte das sein?«, fragte sie.
Er fasste sich sofort, blickte noch einmal flüchtig auf den Ausdruck und reichte ihn mit gleichgültigem Schulterzucken zurück. »Eine Skarifizierung, würde ich sagen.«
Als hielte die Fassade des Desinteresses dem Druck der Wissbegier nicht stand, fügte er hinzu: »Woher stammt dieser Computerausdruck?«
Alenka hätte gerne gewusst, was eine ›Skarifizierung‹ war. Aber sie verkniff sich die Gegenfrage.
»Aus dem Internet«, erwiderte Alenka. »Von der Homepage der ›Kirche der Behüter‹.«
Jetzt bohrte sein Blick sich förmlich durch ihre Stirn bis tief in ihre Gehirnwindungen hinein. »Wie hast du diese Seite gefunden?«
Sein Gebaren gefiel ihr nicht. Plötzlich war sie auf der Hut. Sie verzog die Lippen zu einem reservierten Lächeln. »Wie? … Mit Glück. Oder war es Beharrlichkeit? Sagen wir einfach: mit der Ausdauer einer schlaflosen Nacht.«
Er starrte sie weiterhin mit gerunzelter Stirn intensiv an. Schließlich schien er sich zu entspannen. Er fuhr sich mit den Fingern durch den Bart. »Okay.« Er nickte, als hätte er sich zu einer Entscheidung durchgerungen. »Warte mal kurz.«
Er zog sich hinter die Ladentheke zurück, fischte ein Handy aus der Hosentasche und wählte. Was gesprochen wurde, konnte Alenka auf die Entfernung nicht verstehen. Der Mann redete leise und sah dabei mehrmals zu ihr herüber. Das Gespräch dauerte nur kurz. Der Tätowierer ließ das Telefon wieder in die Tasche gleiten, schrieb etwas auf einen Block und riss das Blatt ab.
Er kam herüber und händigte Alenka den Zettel aus: »Du wirst erwartet.«
*
Alenka bezahlte den Fahrer, stieg aus und warf die Autotür hinter sich zu. Während das Taxi abfuhr, holte sie den Zettel aus der Hosentasche und las noch einmal die notierte Adresse. Sie stand direkt davor.
Diesmal bimmelte kein Glöckchen. Der kleine Galerieraum war hell, menschenleer und still wie eine Aussegnungshalle. Durch die Glasfront fiel das Nachmittagslicht herein. Von der Decke schienen kleine runde Lampen herab. Punktleuchten hoben die Bilder hervor, die an den geweißten Wänden hingen, und ebenso die Objekte auf den quadratischen Sockeln, die im Raum verteilt standen. Ein süßlich-herber Hauch von Coco Noir lag in der Luft. Alenka kannte das Aroma, weil sie einmal einen 50-ml-Pumpzerstäuber mit dem Zeug geschenkt bekommen hatte. Sie selbst hatte sich jedoch immer auf Haarshampoo und Seife verlassen, was die olfaktorische Außenwirkung anging, und daher das Duftwasser bei eBay weiterverscherbelt.
Dies war nicht das Ambiente, in dem man laut ›Hallo, ist hier jemand?‹ rief. Da sich noch immer niemand blicken ließ, setzte sie die getönte Brille ab und wandte sich dem nächstgelegenen Bild zu.
Es war auf eine Holzplatte gemalt. Inmitten des pastosen, grün-schwarz-gelben Farbauftrags waren bernsteingelbe Raubtieraugen aus Glas oder Kunststoff, wie Taxidermisten sie für ausgestopfte Tiere verwenden, ins Holz eingebettet. Wenn man dicht vor das Bild hintrat, erkannte man nur die Glasaugen, und die Farben
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