Horror Factory - Der Behüter(German Edition)
noch einmal, wie sie im Internet auf die Kirche der Behüter gestoßen war.
Als Alenka verstummte, streifte Justine nachdenklich die Asche ihrer Zigarette im Aschenbecher ab. »Jetzt kenne ich deine Geschichte«, sagte sie schließlich. »Aber ich weiß noch immer nicht deinen Namen.«
»Hatenbur … Alenka Hatenbur.«
»Alenka. Schön. Mich kannst du mit Justine anreden.«
»Justine«, wiederholte Alenka. »Sag mir, Justine, gibt es tatsächlich ein Ri…, eine Methode, wie man Schutzengel herbeirufen kann?«
»Der Behüter ist immer um dich«, erwiderte Justine. »Du siehst ihn nur nicht. Denn er ist unstofflich. Ein Geistwesen. Das Sakrament bringt ihn dazu, sich zu materialisieren. Ab dem Moment, wo du deinen Behüter sehen kannst, verwandelt sich dein Glaube an ihn – oder auch dein Zweifel bezüglich seiner Existenz – in die Gewissheit seiner Existenz. Das Wissen, bei jedem Schritt, bei jedem Atemzug in guter Obhut zu sein, übt eine ungemein aufrichtende Wirkung aus. Es stärkt dein Selbstvertrauen und nimmt dir die Ängste.« Justine ließ den aufgerauchten Zigarettenstummel in den Ascher fallen, wo er weiter vor sich hin glomm. »Hierfür sind die Gesalbten bereit, eine harte Prüfung zu erdulden und sich von einer beträchtlichen Summe Geldes zu trennen.«
»Geld?«, wiederholte Alenka ernüchtert. »Ich hätte nicht gedacht, dass dieses … Sakrament Geld kostet.«
»10.000 Euro in bar, um präzise zu sein. Das Sakrament ist langwierig, aufwendig und erfordert die Kunst von Spezialisten. Außerdem ist die Kirche der Behüter kein Wohltätigkeitsbasar.«
»Aber wie kann ich sicher ein, dass kein Betru…« Alenka presste die Lippen aufeinander.
Sie beobachtete, wie Justine das Fluppen-Etui aufklappte. »Ich bin eine Business Bitch , eine diamantharte Geschäftsfrau«, erklärte die Galeristin und schob sich eine neue Zigarette in den Mundwinkel. »Aber ich bin ehrlich. Gegenüber Kunden und selbst gegenüber naiven, von sich selbst geblendeten Nachwuchs-Künstlern.« Sie ließ das Feuerzeug aufschnappen. »Ich verspreche dir: Wenn du das Geld aufbringst und das Ritual bis zum Ende durchstehst, werden deine Wünsche wahr.«
*
»Was haben Sie denn hier draußen vor?«, fragte der Taxifahrer, während er Alenka durch die ausgestorbenen Straßen des verödeten Industriegebiets kutschierte. »Mutanten-Ratten jagen?«
Justine hatte Alenka eingeschärft, niemandem von dem Treffen zu erzählen und allein zu kommen. Die Taxifahrt verstieß zwar nicht gegen den Buchstaben, aber sozusagen gegen den Geist dieser Vorkehrung. Alenka wusste das. Mikhail wäre sicherlich bereit gewesen, ihr einen der Fahrschulwagen zu leihen. Aber er war derzeit im Urlaub und die Fahrschule geschlossen. Und die Ducati war noch nicht umgemeldet.
Der Blick durch die rot getönten Gläser von Alenkas ›Pornobrille‹ verstärkte den postapokalyptischen Eindruck, den die Szenerie erweckte, noch.
»Ich bin freie Journalistin«, behauptete Alenka. »Ich recherchiere für einen Artikel über die Innenräume stillgelegter Hedonisten-Tempel. Über die Echos, die dort nachhallen, und die Gespenster, die dort tanzen.«
Der Taxichauffeur grunzte. »Was im ›Orkus‹ tanzt, sind höchstens Motten in staubigen Spinnweben.«
Der ›Orkus‹ war ein ehemaliger Techno-Club, den Justine als Treffpunkt genannt hatte.
»Wie wollen Sie da überhaupt reinkommen?«, bohrte der redselige Taxichauffeur.
»Ich hab mir Schlüssel besorgt«, log Alenka. »Sie können hier anhalten.«
»Prüfen Sie lieber Ihren Handy-Empfang, bevor Sie aussteigen«, empfahl der Chauffeur. »Sonst sind Sie in dieser Abgeschiedenheit am Ende ganz auf sich allein gestellt.«
Alenka entlohnte ihn und stieg aus. Dann schritt sie durch den Torbogen der ehemaligen Fabrikhofeinfahrt. Sie überquerte die bucklige, aufgesprungene Asphaltfläche, die von tot aussehenden Rotziegel-Hallen umstellt war und aus deren Rissen Unkraut spross. Zwei Fahrzeuge parkten am gegenüberliegenden Ende des Areals vor dem Hauptgebäude. Sie hielt darauf zu.
Beim Näherkommen erkannte Alenka eine silbergraue BMW-Geländelimousine und ein rotes Audi-TT-Coupé, dessen Auspuffgase noch in der Luft hingen. Auf der Heckscheibe des BMW stand in schlanken Lettern: Galerie am Wehrturm.
Justine sah Alenka und stieß sich von der Seite des BMW ab, an dem sie gelehnt hatte. Sie warf den Zigarettenstummel auf den Boden und trat ihn mit der Schuhspitze aus. Diesmal trug Justine eng geschnittene
Weitere Kostenlose Bücher