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Horror Factory - Der Behüter(German Edition)

Horror Factory - Der Behüter(German Edition)

Titel: Horror Factory - Der Behüter(German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Malte S. Sembten
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wirkten sinnlos durcheinandergeschmiert. Trat man zu weit vom Bild zurück, verschwammen die Pinselstriche zum deutlich erkennbaren Dschungeldickicht, aber die Augen gingen unter. Nur aus genau der richtigen Entfernung wirkte das Bild wie ein lebendiger Urwald, in dem wilde Tiere lauerten und den Betrachter anstarrten. Das nächste Bild funktionierte nach demselben Prinzip. Diesmal waren es blau-braun-schwarze Farbkleckse und künstliche Menschenaugen. Nahm man den richtigen Abstand zum Bild ein, erkannte man einen großen Lumpenhaufen, unter dem Leute versteckt lagen und heimlich hervorlugten. Die Machart der Gemälde war wirklich erstaunlich.
    Alenka wandte sich einem der Kunstobjekte auf den quadratischen Sockeln zu. Sie sah einen kleinen, offenbar sehr alten Duodezband mit aufgeschlagenem Deckel. Das Druckwerk war in ein Geheimfachbuch umgewandelt worden. Der Künstler hatte eine geformte Höhlung in den Buchblock geschnitten, in der wie in einem passgenauen Futteral ein Lippenstift ruhte. Alenka trat zum nächsten Sockel. Darauf lag ein Gebetbuch mit luxuriösem Original-Ledereinband, offenbar sehr alt, dessen Geheimfach einem Gegenstand angepasst war, der für Alenka aussah wie ein konischer, aus Ebenholz gedrechselter Kommodenfuß.
    In diesem Moment verdichtete sich das Coco-Noir -Odeur, und Valanka wandte sich um.
    »Interessieren Sie sich für junge Kunst?«
    Die Frau sah atemberaubend gut aus. Sie war etwa Mitte dreißig und so groß wie Alenka, die ihr jedoch dank ihrer Plateausohlen auf den brünetten Scheitel blicken konnte. Der offenbar maßgeschneiderte Hosenanzug betonte die ausgeprägten Kurven und perfekten Proportionen.
    »Ich bin Justine Weiss. Ich führe diese Galerie.«
    Verglichen mit dieser schönen, modisch und teuer gekleideten Frau kam Alenka sich in ihrer ›Verkleidung‹ auf einmal doppelt albern vor. Das Gefühl der Peinlichkeit stachelte sie auf: »Sind Sie sicher, dass das Kunst ist und nicht eher Vandalismus? Ich meine, bibliophile Sammlerstücke zu zerstören, nur um Kommodenfüße hineinzustecken?«
    »Kommodenfuß?« Die Frau sah mit einem schiefen Lächeln zu Alenka hoch, in dem sich sichtlich leiser Spott mit Zweifeln mischte, ob Alenka sich vielleicht nur einen Scherz erlaubte. »Dies ist ein Nonnenbrevier aus dem Jahr 1763, in dem sich ein von der Künstlerin handgefertigter Analplug verbirgt.«
    Zu ihrem Ärger spürte Alenka, dass sie errötete. Daran war vor allem das süffisante Lächeln der Galeriebesitzerin schuld.
    Die Galeristin hob eine penibel gezupfte Braue. »Wie dem auch sei«, sagte sie lächelnd, »von Vandalismus kann keine Rede sein. Ich nenne es Wertvermehrung. Dieses Brevier wurde bei einer Antiquariatsauktion für hundertfünfzig Euro erworben. Das daraus entstandene Kunstwerk habe ich bereits bei der Vernissage für 2.600 Euro verkauft.« Sie ließ den Blick durch den Ausstellungsraum schweifen. »Diese Galerie stellt ausschließlich atelierfrische Arbeiten aus. Unsere Spekulationsobjekte sind junge, noch unbekannte Künstler. Darin gleichen wir Aktienhändlern, die auf Neuemissionen setzen. In Rainer Haas mit seinen Augenbildern und Mitzi Chin mit ihren Geheimfachbüchern zu investierten, hat sich bislang rentiert. Fast alle Arbeiten, die Sie hier ausgestellt sehen, sind bereits zu guten Preisen verkauft.«
    Dann wandte sie plötzlich den Kopf und starrte direkt auf ihre Besucherin. Ebenso abrupt änderte sie den Tonfall:
    »Aber jetzt zur Sache, Rotschopf! Wer sind Sie? Und wie sind Sie auf die Kirche der Behüter gekommen?«
    Nun erst fiel Alenka auf, dass sie die Selbstvorstellung der Galeristin überhaupt nicht erwidert hatte. Aber um Höflichkeitsrituale, das machten die Stimme und die Miene der Frau nur zu deutlich, ging es jetzt nicht mehr.
    »Kommen Sie mit ins Büro«, kommandierte die Frau. »Dort besitze ich die Lizenz zum Qualmen.«
    Wie um der Aufforderung Nachdruck zu verleihen, war plötzlich ein Mann hinter die Galeristin getreten. Verwirrt zog Alenka die Augenbrauen zusammen: sie hatte nicht das geringste Geräusch vernommen; der Kerl musste sich vollkommen lautlos angenähert haben. Oder hatte er schon länger dort gestanden, und sie hatte ihn nur nicht bemerkt? Er verharrte reglos wie eine Skulptur und schien kaum zu atmen. Er war mittelgroß, mit sehr breiten Schultern. In dem hellen, kalten Ambiente der Galerie wirkte sein weißer Anzug fast wie eine Camouflage. Sogar seine Schuhe waren weiß. Sein kantiges, von alten Narben

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