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Horror Factory - Teufelsbrut (German Edition)

Horror Factory - Teufelsbrut (German Edition)

Titel: Horror Factory - Teufelsbrut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timothy Stahl
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ge wöhnen, damit man sie zurück in die Welt entlassen konnte. Die allerwenigsten blieben so lange hier wie Eric, den es nach einer Odyssee durch verschiedene Kliniken und Institutionen vor ziemlich genau sechs Jahren hierher verschlagen hatte. Damit war er so etwas wie ein Dauergast, und entsprechend »bewohnt« sah sein Zimmer aus. Hätte es in Haven House eine Wahl des wüstesten Zimmers gegeben, wäre Eric mindestens ins Finale gekommen.
    Neben seinem Morgenmantel hatte er auch gleich sein iPad gefunden, und nun ließ er sich in den einzigen Sessel im Zimmer fallen und surfte übers WWW hinaus in die Welt und dorthin zurück, wo Letztere vor zwölf Jahren für ihn untergegangen war, nach Big Rock Falls, Washington State – wo ihn heute eine Überraschung erwartete, die ihn trotz flauschigem Bademantel und schönem Morgen bis ins Mark erschauern ließ:
    Er war wieder da.
*
    Eric hielt das iPad mit beiden Händen, und es zitterte trotzdem auf seinem Schoß. Weil er am ganzen Leib zitterte.
    Es war wie eine perverse Sucht, dass er jeden Morgen den Blog »The Big Rock’s Daily Dirt« ansteuerte. Neuigkeiten aus dem Fischer- und Feriendorf am Puget Sound, wo es damals passiert war. Wo seine Eltern acht Jahre lang jeden Sommerurlaub im eigenen Ferienhaus mit ihm verbracht hatten. Auch jenen Sommer, in dem ein durchgeknallter Serienkiller angefangen hatte, Kinder abzuschlachten. Erst ein Mädchen und einen Jungen, die er alleine erwischte, denen niemand zu Hilfe kam. Dann Eric Anderson (8), dem seine Eltern noch beistehen wollten; Löwenmut, den sie mit dem Leben bezahlt hatten. Dass Eric mit dem Leben davongekommen war, verdankte er einem Nachbarn, der die Schreie aus dem Haus der Andersons gehört und darauf reagiert hatte. Der Killer war geflohen und Eric rechtzeitig in ärztliche Behandlung gekommen. Man hatte ihn im letzten Augenblick noch zusammenflicken können. Der Mörder war verschwunden geblieben – bis jetzt.
    »The Big Rock’s Daily Dirt« war ein Weblog, der sich die Aufgabe einer lokalen Tageszeitung für Big Rock Falls und die Umgebung anmaßte. Weil er anonym geführt wurde, scherte sich der Schreiber dahinter wenig um die Beschränkungen, denen offizielle Medien unterlagen. Er nannte stets Ross und Reiter, auch wenn das, was er sagte, nur auf Vermutungen und Hörensagen basierte. Er griff Themen auf, die ein richtiges Lokalblatt nicht angefasst hätte, sei es, weil sie nichtig oder zu heiß waren. Munkelte man im Ort, dass der Bürgermeister seine Sekretärin vögelte, wirbelte »The Big Rock’s Daily Dirt« diesen Staub auf und lobte eine Belohnung aus für das erste Foto, das die beiden in flagranti ertappte. (Das Foto war geschossen worden, im »Daily Dirt« erschienen, und der Bürgermeister war inzwischen geschieden.)
    Doc Stevens, Erics Therapeut in Haven House, hielt es für »ungesund«, dass sein Patient sich jeden Tag in Big Rock Falls gewissermaßen umschaute. Eric gab ihm recht. Er spürte, dass es ihm nicht guttat. Dass es ihm nicht half, seiner Ängste endlich Herr zu werden. Er weckte sie ja jeden Tag wieder auf. Denn jeder Gedanke an Big Rock Falls war auch ein Gedanke daran, was ihm dort vor zwölf Jahren zugestoßen war. Er brauchte dazu kein Bild des bewaldeten Hangs zu sehen, an dem das Ferienhaus seiner Familie stand, so wenig wie er das Haus selbst zu sehen brauchte, um daran erinnert zu werden, was darin passiert war. Es reichte buchstäblich jedes Foto, das irgendein Motiv der kleinen Stadt zeigte, um in Eric jenen Schmerz aufblitzen zu lassen, mit dem die Klinge des Mörders durch seine Haut und in das Fleisch darunter gedrungen war. Immerhin, er zuckte unter der Erinnerung nicht mehr zusammen, auch wenn sie noch so wehtat wie der tatsächliche Schmerz damals. Für sich wertete Eric das als therapeutischen Erfolg, auch wenn Doc Stevens das nicht so sah.
    Bis heute hatte Eric sich eingeredet, er konfrontiere sich tagaus, tagein mit der Erinnerung an die Angst, weil er daran wachsen wollte. Weil er selbst so stark wie die Angst werden wollte und dann stärker als sie. Doc Stevens behauptete, das könne nicht funktionieren. Heute fand Eric heraus, dass Doc Stevens wohl recht hatte – und dass seine eigene Absicht unbewusst eine ganz andere gewesen war.
    »The Big Rock’s Daily Dirt« brachte heute eine Aufnahme des alten Ferienhauses der Andersons – wo es laut Bildunterschrift »vor zwölf Jahren aufhörte«. Darunter ein Foto, das eine kleine Waldlichtung zeigte.

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