Hotel
inne, mit einem grübelnden Ausdruck in den Augen. »Man weiß nie, wie viel man mit jemandem gemeinsam hat, bis die Gemeinsamkeit endet. Sie und Ihr junger Mann sollten jede Minute festhalten. Verschwenden Sie keine Zeit; man kriegt sie nicht zurück.«
Sie lachte. »Aber ich sag’ Ihnen doch, er ist nicht mein junger Mann. Wenigstens jetzt noch nicht.«
»Wenn Sie die Dinge richtig hinbiegen, wird er’s sein.«
»Vielleicht.« Ihr Blick senkte sich auf das halbfertige Zusammensetzspiel. Sie sagte langsam: »Ich möchte wissen, ob es – wie Sie sagen – einen Schlüssel zu allem gibt und ob man, wenn man ihn findet, wirklich klarsieht oder bloß glaubt und hofft.« Und plötzlich hatte sie, fast ohne es zu merken, begonnen, dem kleinen Mann ihr Herz auszuschütten, ihm von der Tragödie in Wisconsin zu erzählen, ihrer Einsamkeit, dem Aufbruch nach New Orleans, den nachfolgenden Jahren, in denen sie sich mit ihrem Schicksal abfand, und von der neuen Aussicht auf ein erfülltes, fruchtbares Leben. Sie vertraute ihm auch ihre Enttäuschung darüber an, daß ihre Verabredung für den Abend in die Brüche gegangen war.
Am Ende nickte Albert Wells weise. »Meistens kommt alles von allein ins Lot. Aber manchmal muß man ein bißchen nachhelfen.«
»Irgendwelche Vorschläge?« fragte sie leichthin.
Er schüttelte den Kopf. »Als Frau kennen Sie sich da viel besser aus als ich. Ich möchte bloß eins sagen: Nach allem, was heute passiert ist, würde es mich nicht wundern, wenn der junge Mann Sie für morgen abend einlädt.«
Christine lächelte. »Das wäre möglich.«
»Dann verabreden Sie sich rasch mit jemand anderem. Er wird Sie mehr schätzen, wenn Sie ihn einen Tag lang zappeln lassen.«
»Da müßte ich mir irgendeine Ausrede ausdenken.«
»Das brauchen Sie nicht. Ich wollte Sie sowieso fragen, Miss … verzeihen Sie, Christine, ob Sie Lust haben, mit mir zusammen zu essen. Es soll eine Art Dankeschön sein für neulich. Falls Sie die Gesellschaft eines alten Mannes ertragen können, springe ich gern als Ersatzmann ein.«
»Ich freue mich schrecklich über die Einladung, Mr. Wells«, antwortete Christine, »und ich verspreche Ihnen, daß Sie für mich durchaus kein x-beliebiger Ersatzmann sind.«
»Fein!« Der kleine Mann strahlte. »Ich schätze, wir bleiben wohl am besten hier im Hotel. Ich hab’ dem Doktor versprochen, in den nächsten paar Tagen nicht ins Freie zu gehen.«
Christine zögerte kurz. Sie fragte sich, ob Albert Wells wußte, wie hoch die Abendpreise im Hauptrestaurant des St. Gregory waren. Nachdem er die Pflegerin heimgeschickt hatte, wünschte sie nicht, ihm neue Ausgaben aufzubürden. Dann fiel ihr plötzlich ein Weg ein, auf dem sich das vermeiden ließ.
Heiter versicherte sie ihm: »Das mit dem Hotel ist eine gute Idee. Aber es ist schließlich eine besondere Gelegenheit, und da müssen Sie mir schon viel Zeit lassen, daß ich nach Haus gehen und mich wirklich schön machen kann. Sagen wir acht Uhr – morgen abend.«
In der vierzehnten Etage, nachdem sie sich von Albert Wells verabschiedet hatte, merkte Christine, daß Fahrstuhl Nummer vier außer Betrieb war. An den Schiebetüren und in der Kabine wurden Reparaturen vorgenommen.
Sie fuhr in einem anderen Lift in den ersten Stock hinunter.
10
Dr. Ingram, der Präsident des Zahnärztekongresses, funkelte den Besucher in seiner Suite im siebten Stockwerk grimmig an. »McDermott, falls Sie in der Absicht hierhergekommen sind, Öl auf die Wogen zu gießen, dann kann ich nur sagen, Sie verschwenden Ihre Zeit. Ist das der Grund für Ihr Kommen?«
»Ich fürchte ja«, erwiderte Peter.
»Na, Sie lügen wenigstens nicht«, gab der ältere Mann widerwillig zu.
»Warum sollte ich auch? Ich bin ein Angestellter des Hotels, Dr. Ingram. Solange ich hier arbeite, bin ich verpflichtet, mein Bestes zu tun.«
»Haben Sie auch für Dr. Nicholas Ihr Bestes getan?«
»Nein, Sir. Zufällig glaube ich, daß wir gar nichts Schlimmeres hätten tun können. Die Tatsache, daß ich nicht befugt bin, eine feststehende Anordnung zu ändern, macht es nicht besser.«
Der Präsident des Zahnärztekongresses schnaubte. »Wäre es Ihnen wirklich ernst, so hätten Sie auch den Schneid, hier zu kündigen und sich woanders eine Stellung zu suchen. In einem Hause, wo das Gehalt vielleicht niedriger, aber das Gefühl für Anstand besser entwickelt ist.«
Peter errötete und unterdrückte eine scharfe Erwiderung. Er sagte sich mahnend, daß er
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