Huckleberry Finns Abenteuer und Fahrten (German Edition)
tat's. Sie betrachtet mich aufmerksam von oben bis unten mit ihren kleinen, glänzenden Äuglein und fragt dann: »Wie heißt du denn?«
»Sarah Williams!«
»Wo wohnst du? Hier in der Gegend?«
»O nein, in Hookerville, sieben Meilen von hier. Ich bin den ganzen Weg zu Fuß gegangen und halb tot vor Müdigkeit!«
»Gewiß auch hungrig! Wart, ich hol' dir was!«
»Nein, hungrig bin ich nicht, ich war's aber so schrecklich, daß ich zwei Stunden von hier auf einer Farm die Leute um Essen bat, und deshalb bin ich auch so spät dran. Meine Mutter ist krank und hat kein Geld und nichts, und ich soll zu meinem Onkel Abner Moore und es ihm sagen. Er wohnt am andern Ende der Stadt, sagt Mutter. Ich bin noch nie hier gewesen. Kennen Sie ihn?«
»Nein! Aber ich bin auch erst vierzehn Tage hier und kann noch nicht jedermann kennen. Es ist aber ein weiter Weg bis ans andere Ende der Stadt. Du bleibst am besten die Nacht über bei uns. Nimm doch deinen Hut ab!«
»Nein, danke«, sag' ich, »ich will nur ein Weilchen ausruhen und dann wieder weitergehen. Ich fürchte mich nicht im Dunkeln!«
Sie sagte, allein ließe sie mich auf keinen Fall gehen, ihr Mann käme bald nach Hause und der solle mich begleiten. Dann erzählte sie von ihrem Mann und von ihren Verwandten stromauf- und stromabwärts, und wie es ihnen früher so viel besser ergangen und ob es nicht vielleicht eine Torheit gewesen, hierher zu kommen, anstatt zu bleiben wo sie waren, und so weiter und so weiter, bis ich dachte, ich hätte eine Dummheit gemacht, zu ihr zu kommen, um Neues aus der Stadt zu erfahren. Allmählich aber kam sie ins richtige Fahrwasser und fing von meinem Alten und dem Morde an; ich ließ sie weiterschwatzen, solange es ihr behagte. Sie erzählte von mir und von Tom Sawyer, wie wir die sechstausend Dollars gefunden – nur waren's bei ihr zehntausend geworden –, von meinem Alten, was er für ein Lump sei, und was für ein Lump ich gewesen, und nach und nach war sie bis zu meinem Mord vorgerückt. Da frag' ich: »Wer hat's denn eigentlich getan? Von dem Mord haben wir auch in Hookerville gehört, aber nicht, wer's getan hat!«
»Na, da geht's euch gerade wie allen hier! Wie viele würden was drum geben, wenn sie wüßten, wer's getan hat. Manche glauben, der alte Finn sei's selbst gewesen!«
»Nein! Wahrhaftig?«
»Fast alle glaubten's zuerst. Der wird wohl nie erfahren, wie dicht am Galgen er vorbeigestreift ist, der Lump! Noch vor Nacht aber änderte sich die Meinung der Leute, und man hatte nun einen durchgebrannten Nigger namens Jim im Verdacht!«
»Was, der war ja ...«
Ich schnappte nach Luft und dachte, ich will lieber still sein. Sie hatte gar nichts gemerkt und fuhr ruhig fort: »Ja, der Nigger war in derselben Nacht durchgebrannt, in der Huck Finn ermordet wurde. Man hat eine Belohnung auf seinen Kopf gesetzt – dreihundert Dollar. Auch für die Auffindung des alten Finn ist eine Belohnung von zweihundert Dollar ausgesetzt worden. Der war am Morgen nach dem Mord in die Stadt gekommen, um Anzeige zu machen, war auch mit den Leuten auf dem Boot, um den Leichnam zu suchen, gleich danach aber war er verschwunden, und als am Abend die Leute sich soweit klar waren, daß sie ihn hängen wollten, war er nirgends mehr zu finden. Am andern Tag kam dann heraus, daß auch der Nigger fehle und daß der gerade in der Mordnacht um zehn Uhr zum letztenmal gesehen worden sei. Jetzt fiel der Verdacht auf den, und am selben Tag kam auch der alte Finn zurück und plagte Kreisrichter Thatcher, ihm Geld zu geben, daß er den Nigger, dem elenden Mörder, nachsetzen könne. Der gab ihm ein paar Dollars, und am Abend hatte er einen tüchtigen Rausch und randalierte in den Straßen herum mit noch zwei anderen Strolchen, die recht gerieben aussahen. Mit denen ging er auch schließlich davon. Seitdem ist er nicht wieder gesehen worden, und niemand sehnt sich nach ihm, denn nun ist wieder alles fest davon überzeugt, daß er seinen Jungen selbst getötet und dann alles so zurechtgemacht hat, als seien es fremde Mörder gewesen, nur um den Leuten Sand in die Augen zu streuen. Er dachte dadurch viel schneller das Geld seines Sohnes ausgeliefert zu bekommen, als wenn er den langweiligen Prozeß abwarten müßte. Man traut ihm alles zu, dem schlechten Kerl! Oh, der ist schlau! Wenn er sich jetzt ein Jahr lang fern hält, wird alles verblasen sein. Beweisen kann man ihm ja nichts, und er kann dann mit der größten Leichtigkeit Hucks Erbschaft
Weitere Kostenlose Bücher