Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hüftkreisen mit Nancy

Hüftkreisen mit Nancy

Titel: Hüftkreisen mit Nancy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Schwarz
Vom Netzwerk:
Der Mann riss die Augen zu Glotzgröße auf und ließ den massigen Unterkiefer herabsacken, um sein Gesicht noch auffassungschwächer aussehen zu lassen als sowieso schon. «Und was sollte das bringen? Lutsch ’n Bonbon oder huste deine Oma an, du Clown! Aber nicht mich. Klaro?» Ich nickte artig mit dem Kopf. «Na, also!», meinte der Mann schon zufriedener, ging wieder an seine Tasche, holte ein Tanktop und Boxershorts heraus und zog sich an. Als er sich wieder wegdrehte, sah ich es: Auf dem Hinterkopf trug er einen tätowierten Totenschädel.

9
    Ich hatte Dorit nichts davon gesagt, dass ich jetzt meine Vormittage in Sascha Ramon Niekischs Zentrum für Realistische Selbstverteidigung verbrachte, anstatt «auf Arbeit» zu gehen. Vor Jahren einmal hatte mich Dorit bei denSchultern genommen und mich sehr eindringlich beschworen, dass ich ihr immer alles erzählen könne. Das Ergebnis war indes, dass ich ihr nur noch das Nötigste erzählte. Denn schon bei der allernächsten Gelegenheit hatte ich leider erfahren müssen, dass sie nicht mein «Mülleimer» sei. Dorit ist zwar der Meinung gewesen, dass Liebende keine Geheimnisse voreinander haben sollten, aber offenbar hatte sie sich mein geheimes Innenleben irgendwie erhebender oder wenigstens unterhaltsamer vorgestellt. Meine Phobien und Besorgnisse waren ziemlich kleinteilig und eigneten sich nicht für ergreifende Geständnisse am Kaminfeuer. Im Grunde war ich nur von der Furcht besessen, die Wurst könne nicht mehr frisch sein. Die Frage, wann der Bierschinken noch saftig und wann er schon schmierig war, teilte sich Dorit aber nicht in derselben Dringlichkeit mit, und sie wollte davon verschont bleiben. Vielleicht hatte sie mit ihrer Abwehr sogar recht. Schließlich musste sie mit dem Mann, der eben noch unschlüssig an der Wurst gerochen hatte, ins Bett gehen.
     
    Im Moment war mir sowieso nicht nach Reden. Ich hatte immer noch Schluckbeschwerden. Meine Beine schmerzten von den Kniebeugen, mein Gang fühlte sich ein wenig zittrig an, und ich war so ausgepowert, dass ich schon anderthalb Stunden nach dem Abendbrot wieder Hunger und Durst hatte. Leider saß Dorit mit dem Laptop in der Küche und entwarf irgendwelche Storyboards mit glücklich lachenden Kindern vor Immobilien. Wäre ich jetzt zum Kühlschrank gegangen, hätte mir das mindestens einen kritischen Blick eingetragen. Just als ich überlegte, ob ich stattdessen nicht einfach ins Bett gehen sollte, fiel mir ein,dass im Wintergarten noch Chips und Bier von der letzten Party standen. Ich schlurfte durchs Schlafzimmer am Doppelbett vorbei zum Wintergarten. Wir hatten das Bett damals mit durchgehender Matratze gekauft, weil wir verliebt waren und keine Besucherritze wollten «wie bei alten Leuten». Im Laufe der Zeit hatte sich aber herausgestellt, dass die alten Leute gar nicht so blöd waren. Immer wenn ich mich im Schlaf wie eine fette Kegelrobbe wendete und niedersackte, hüpfte Dorit am anderen Ende in die Höhe. Behauptete sie zumindest. Noch weigerten wir uns, die eine gegen zwei Matratzen auszutauschen, aber es war nur eine Frage der Zeit.
    Im Wintergarten gab es tatsächlich einen halbvollen Kasten Radeberger und zwei Tüten Erdnussflips, und ich wollte mir gerade eine Flasche herausziehen, als ich schräg gegenüber Licht sah. Zwar war ich selten abends im Wintergarten, aber ich hatte da drüben noch nie Licht gesehen. Denen musste es mit unserem Wintergarten ähnlich gegangen sein, denn sonst hätten sie die Vorhänge zugezogen. Ich hielt es nur eine einzige Sekunde für etwas anderes als Geschlechtsverkehr, dann ließ das vertraut repetetive Bewegungsbild keine andere Deutung mehr zu. Das Zimmer sah im Licht der viel zu hellen Deckenleuchte seltsam unwirklich aus. Der Schrank, das dazu passende Bett mit dem hohen Kopfteil, alles aus lackierter Buche, die pralle, türkisfarbene Damast-Steppdecke, die sich das Paar zu den Füßen gestrampelt hatte – alles schien aus einer anderen Zeit zu stammen und nach Mottenkugeln zu riechen. Von der Frau waren nur ein Viertel Frisur, altbackene Kunstlocke und die dicken Knie zu sehen. Vom Mann der bleiche Rücken und haarige Oberschenkel, die Füße steckten unterder Steppdecke, wahrscheinlich hatte er sie gegen das Bettende gestemmt. Die beiden umklammerten sich so fest, als wären sie aus einem Flugzeug gefallen und nur einer hätte einen Fallschirm dabei, ihre Hände suchten manchmal fahrig seinen schon etwas lichten Schädel ab, seine weißen Pobacken –

Weitere Kostenlose Bücher