Hüftkreisen mit Nancy
er eine schwarze Sporttasche, in der anderen eine lange schwarze Taschenlampe, wie sie amerikanische Motorrad-Cops benutzen, um nachts bei steif nach vorn blickenden Serienmördern im Fahrgastinnenraum herumzuscheinwerfern, natürlich nur, um sie dann wieder fahren zu lassen. Der Mann ging auf meine Bank zu, schob meinSportzeug gut zwei Meter zur Seite und warf seine Tasche auf den Platz. Nackt und fassungslos stand ich hinter ihm. Es war ein Akt so beiläufiger, so unbegründeter Aggression, dass selbst Mahatma Gandhi ins Hyperventilieren geraten wäre. Der Mann öffnete seelenruhig den Spind neben meinem, hängte seine Jacke hinein und riss sich das schwarze T-Shirt von einem Kreuz, das so breit und so talgig war wie eine Schweinehälfte. Dann ließ er die weite Hose fallen und stieg, auf einem Bein hüpfend, aus dem Slip. Der nunmehr splitterfasernackte Mann warf ein paar Badelatschen vor sich auf den Boden und schlüpfte hinein. Dann wühlte er weiter in seiner Tasche herum. Mir wurde langsam kalt. Meine Straßenklamotten hingen im Schrank, und ich konnte nicht an sie heran, solange er dort herumwirtschaftete. Ich hüstelte. Der Mann reagierte nicht. Ich räusperte mich noch einmal und schon sehr viel vernehmlicher. In der Welt, aus der ich kam, hätte dieses vernehmliche Räuspern gereicht, um alle Tätigkeit im Umkreis von zehn Metern zu unterbrechen. Der Mann jedoch kramte weiter in seiner Tasche, drehte ein Döschen auf, schüttete sich etwas daraus in die Hand und warf es sich in den Mund.
Wenn ich jetzt nicht Zivilcourage zeigte, dann würde sich diese Umkleide in einen rechtsfreien Raum verwandeln, wo das Gesetz des Dschungels herrschte. Ich, Max Krenke, würde mir jetzt mein Recht und mein Zeug nehmen, aber ohne Gewalt. Geräuschlos schlich ich mich an den barleibigen Fleischberg heran, der über seine Tasche gebeugt stand. Wenn ich mich auf Zehenspitzen nach vorne reckte, könnte ich über ihn hinweg ins obere Fach meines Spinds langen und wenigstens meine Unterwäsche herausnehmen. In Unterwäsche wäre mir schon wohler. Ich stand jetzt leisenAtems hinter ihm. Drei Millimeter trennten die äußersten Spitzen meiner Schamhaare von seinem Hintern, eine Distanz, die feinere Seelen als ihn bereits in unerklärliche Unruhe versetzt hätten. Doch dann hob der Mann plötzlich langsam seinen Kopf, und obwohl ich hätte schwören können, dass er mit dem Rücken zu mir stand, sah mich ein Schädel mit leeren Augenhöhlen und bleckenden Zähnen an. Es war der Tod! Der Tod auf Badelatschen! Grauen klappte meine Gelenke ein. Ich zuckte zusammen. Genauer: Ich zuckte mit dem nackten Schwerathleten zusammen und hielt mich versehentlich auch noch an seinen Hüften fest, um nicht zu fallen. Der Schrei, der jetzt ertönte, war irritierend hoch. Der Mann sprang einen für seine Masse beachtlichen Halbkreis, blieb dann kampfbereit stehen und starrte mich hasserfüllt aus plötzlich wieder sehr lebendigen braunen Augen an. «Hast du die Scheiße? Hast du Scheiße? Wolltest du mich ficken, du schwule Sau? Ich mach dich platt, ich klatsch dich auf!», keuchte er atemlos. Zu meiner Verwunderung war sein Erschrecken um einiges größer als das meine. «Aber ich hab das gecheckt, du warme Ratte …», keuchte der Mann weiter, und ich registrierte, dass es in der Welt dieses Mannes offenbar zu den ernsthaften Gefahren zählte, unbemerkt penetriert zu werden. Ich wollte ihn erst freundlich anlächeln, aber da ihn dies möglicherweise nur in seinen Befürchtungen bestärkt hätte, hob ich nur sachte die Hände und sagte: «Ich wollte Sie nicht ängstigen!» Der beschwichtigende Effekt stellte sich nicht ein. Der Fleischberg brüllte etwas Unverständliches, sprang auf mich zu und packte meinen Hals, dass mir die Adern an der Stirn hervortraten. «Ich hab keine Angst vor dir, du Schwuchtel! Ist das klar?» Ich bestätigteihm dies ausgiebig. Der Griff war tatsächlich sehr hart und machte das Atmen komplett unmöglich. Erst als ich ihm mit fuchtelnden Händen bedeutete, dass ich in Kürze irreversibel tot sein würde, ließ er von mir ab und stieß mich auf die Bank.
«Ich wollte nur meine Sachen aus dem Schrank holen», röchelte ich.
«Dann mach’s Maul auf, du Sack, du, und schleich dich nicht mit deinem Schwanz hier an.» Halb nackt lag ich auf der Bank und massierte schluckend meinen Hals, der sich noch nicht wieder richtig offen anfühlte. «Ich habe deutlich gehüstelt, zweimal sogar!», verteidigte ich mich krächzend.
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