Hühnerbus und Stoppelhopser (German Edition)
»Und außerdem habe ich keine grauen Strähnen, sondern vereinzelte silberfarbene Haare. Die stehen mir mit siebenundvierzig Jahren auch zu. Aber es muß sie ja nicht jeder gleich sehen.«
Nein, also mit Tante Gertruds Erscheinen bei dem Geburtstagsdefilee war wohl nicht zu rechnen, aber was sich sonst noch alles einfinden würde, reichte auch schon. Bruder Fabian mit Frau Gisela, dieser gräßlichen Emanze, dazu Nichte und Neffen mit Anhang, der zum Teil noch in den Windeln steckte und mit Vorliebe Mülleimer ausräumte, ganz zu schweigen von Tinchens Sippe, die bei massiertem Auftreten auch ziemlich anstrengend war – Florian bekam schon jetzt eine Gänsehaut, wenn er an den Februar nur dachte. Abhauen sollte man, bevor der Rummel losging. Irgendwo hinfahren mit unbekanntem Ziel, mindestens zwei Wochen lang, damit niemand auf die Idee kommen könnte, die entgangene Freßorgie nachholen zu wollen. Aber da würde Tinchen wohl nicht mitmachen. Sie liebte Familienfeste und ließ nie eins aus. Und überhaupt, wo sollten denn die Kinder bleiben? Für Tobias begann zwar gleich nach den Weihnachtsferien das schriftliche Abitur, womit das Schlimmste überstanden sein dürfte, aber bis zum mündlichen würde er doch noch ein paar Monate lang die Schulbank drücken müssen. Julia würde sich ohne weiteres beurlauben lassen können. Im Gegensatz zu ihrem Bruder war sie eine sehr gute Schülerin, und bis zum Abi hatte sie noch zwei Jahre Zeit. Ob Tobias damit einverstanden wäre, vierzehn Tage lang zu den Großeltern …
»Kennst du den Unterschied zwischen Costa Rica und dir?«
Florian zuckte zusammen. Seinen Schwager hatte er glatt vergessen. »Nee. Warum?«
»In Costa Rica gibt es Kaffee!«
»Willst du etwa einen?«
»Na klar.«
»Dann fahr nach Costa Rica!«
Ohne auf Karstens verdutzte Miene zu achten, stiefelte Florian quer über den Rasen zur Terrasse. Karsten hinterher. »Ich will mit dir reden.«
»Das tust du doch schon die ganze Zeit.«
»Jetzt hör mir endlich mal zu!« Ungeduldig ließ er sich in einen Korbsessel fallen. »Ich wollte dir doch nur sagen, daß ich vorsichtshalber für euch mitgebucht habe.«
»Und ich habe dir schon ein dutzendmal erklärt, daß ich nicht mitkomme in die Oper. Neulich habe ich zwar gesagt, daß ich Mozart liebe, aber doch nicht einen ganzen Abend lang!«
»Deine schnelle Auffassungsgabe überrascht mich immer wieder«, sagte Karsten seufzend, »wer redet denn von Mozart? Ich spreche von Kenia.«
»Ach richtig, dein Kaffee.« Mit ergebener Miene stand Florian wieder auf. »Ich mache ja einen, aber muß es unbedingt welcher aus Costa Rica sein? Reicht nicht der von Tchibo?« Er schlurfte in die Küche, füllte die Maschine mit Wasser, suchte nach Filtertüten, fand sie nicht, kippte kurzentschlossen die schon am Morgen benutzte aus, spülte sie unter dem Wasserhahn sauber, stopfte sie in den Filter und schaufelte eine großzügig bemessene Menge Kaffee hinein. Zufrieden sah er zu, wie die braune Flüssigkeit in die Kanne tropfte.
Karsten war seinem Schwager gefolgt und hatte ihn kopfschüttelnd beobachtet. »Geht’s euch wirklich so schlecht, daß ihr euch nicht mal Kaffeefilter leisten könnt?«
»Quatsch! Aber die Küche ist Tinchens Bereich, da finde ich nie etwas. Sie allerdings auch nicht. Neulich haben wir gemeinsam eine Viertelstunde lang den Dosenöffner gesucht, und weißt du, wo wir ihn gefunden haben?«
»Im Handwerkskasten«, vermutete Karsten.
»Nee, an der Wand. Ich hatte einen elektrischen gekauft und den alten weggeworfen, aber daran hatte keiner mehr von uns gedacht.«
Der Kaffee war fertig, Florian stellte Tassen und Dosenmilch auf ein Tablett und balancierte es auf die Terrasse. Karsten folgte mit der Kanne. »Wenn du das Geschirr runterschmeißt, ist es nicht so schlimm, im Schrank steht noch sauberes, aber neuen Kaffee können wir nicht kochen. Keine Tüten mehr.«
Florian schenkte die Tassen halbvoll, stand noch einmal auf, um die Kognakflasche zu holen, verteilte den spärlichen Inhalt gleichmäßig auf beide Tassen und lehnte sich schließlich in seinen Sessel zurück. »So, nun kannste weiterschwafeln, jetzt stört’s mich nicht mehr.«
»Da dein Journalistengehirn offenbar nur dann aufnahmefähig ist, wenn es mit Alkohol begossen wird, fange ich am besten noch mal von vorne an.«
Mit einem kurzen Blick auf die Uhr sagte Florian: »Um fünf muß ich in der Redaktion sein, jetzt ist es halb drei. Also faß dich bitte kurz!«
Karsten
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