Hüter der Flamme 06 - Die Straße nach Ehvenor
Schluchzen zu unterdrücken, obwohl ich eine oder zwei Tränen nicht zurückhalten konnte, die mir über das Gesicht liefen. Verdammt noch mal, es sah doch wirklich so aus, als wäre sie in der Zeit, in der ich fort gewesen war, ein ganz schönes Stück gewachsen. Dir geht schon eine Menge verloren, wenn du ständig unterwegs bist, ganz gleich, ob du nun von Beruf Vertreter bist oder Dieb.
Einen Augenblick legte ich meine Hand an ihre warme Wange, und sie bewegte sich ein wenig. Dann streckte sie ihre rundlichen Patschhändchen aus und zog meine Hand näher an ihr Gesicht, wachte dabei aber nicht auf. Nach ein paar Minuten löste ich zärtlich meine Hand.
Du liebes Kleines, jetzt weiß ich erst, wie sehr ich dich die ganze Zeit vermißt habe.
Vorsichtig schloß ich die Tür hinter mir und ging dann zu unserem gemeinsamen Schlafzimmer hinüber. Die Klinke ließ sich nicht bewegen; die Tür war abgeschlossen. Gut, dachte ich, Kirah kümmerte sich also immer noch um die einfachsten Sicherheitsvorkehrungen. Ich wäre jede Wette eingegangen, daß auch die Geheimtür zum nächsten Zimmer immer noch gut verriegelt war.
Ich kramte in meiner Tasche nach dem Schlüssel, holte ihn hervor und drehte ihn dann ausgesprochen langsam im Schloß herum. Vorsichtig schob ich die schwere Tür auf, in der Hoffnung, daß die Scharniere nicht quietschten und sie weckten.
Das Bett war in meiner Abwesenheit umgestellt worden. Ein großer Wandspiegel stand jetzt direkt am Fenster, in einem solchen Winkel, daß er die ersten Strahlen der Morgensonne auffangen und auf das Bett werfen konnte, um die darin Schlummernden aufzuwecken.
Ganz schön raffiniert.
Und so genügte auch nur eine winzige Spur dieses ersten Dämmerlichts, daß ich die Gesichter der beiden Schlafenden erkennen konnte: das meiner Frau und das des Arschlochs Bren Adahan.
Ich weiß nicht, wie lange ich dort stand, ohne einen einzigen Gedanken zu fassen. Im Nachhinein erscheint es mir sehr lang, aber bestimmt war es das nicht mal.
Ich erinnere mich nur vage, worüber ich zwischen meinen Anwandlungen von Ärger, Haß, Eifersucht, Scham und Schuld nachdachte.
Irgendwie kam mir in den Sinn, daß ich nie so etwas wie eine Doppelmoral vertreten oder praktiziert habe, wirklich und wahrhaftig nicht, ganz gleich, wie stark und schnell mein Herz jetzt auch schlug oder wie sehr mich mein Zorn nun rot sehen ließ.
Ich kann mich zudem daran erinnern, wie mir langsam klar wurde, daß Kirah das Anfassen und Berührtwerden nicht grundsätzlich verabscheute; es war immer die Berührung meiner Hand, der Druck meines Körpers gegen den ihren gewesen, was sie mit ihrem alten Leben, mit Vergewaltigung, Erniedrigung und Sklaverei in Zusammenhang brachte.
Womit hatte ich das verdient? Was hatte ich nur getan? Nichts, wahrscheinlich. Gut. Wer, zum Henker, will behaupten, daß man immer das bekommt, was man verdient?
Ich weiß noch, daß ich vorübergehend daran dachte, das Schloß zu Bren Adahans Zimmer nebenan aufzubrechen, um ihn dort zu erwarten, wenn er durch die geheime Tür zurückkam.
Und ich vergesse auch nicht, daß ich schließlich einsah, daß das Herumstehen in der offenen Tür, während die Tränen nur so an meinen Wangen hinunterliefen, verdammt noch mal auch nichts bewirken würden. Deshalb schloß ich die Tür wieder behutsam hinter mir und wischte mir mit dem Handrücken die Tränen ab. Ich hatte den Schlüssel schon fast vollständig herumgedreht, als ich leise Schritte hinter mir vernahm.
Ich war nicht aufmerksam genug. Das ist keine gute Lebensversicherung.
Abrupt hielt ich in meiner Bewegung inne und Steckte mir den Schlüssel vorsichtig in die Tasche. Dann wandte ich mich langsam um, indem ich mein Gewicht auf die Fußballen verlagerte.
Janie und Aeia standen nebeneinander im fahlen Licht. Janie trug ein schweres schwarzes Schlafgewand, das in den Hüften mit einem dicken samtenen Gürtel zusammengerafft war. Das Gewand war viel zu groß für sie. Der Saum schleifte über den Fußboden, und ihre Hände lugten kaum aus den Ärmeln heraus. Das all es ließ sie viel jünger erschei nen, viel zu jung jedenfalls, um so herumzulaufen.
Aeia hatte sich eine bodenlange weiße Seidenrobe übergestreift. Schlanke Finger spielten nervös an dem Gürtel um ihre Taille. Ihr Augen waren vom Schlafen noch ganz verquollen und nur ein wenig geöffnet.
Ich versuchte mir auszumalen, wer von ihnen den anderen geweckt hatte, und gelangte zu der Einsicht, daß Aeia wohl Janie aus dem
Weitere Kostenlose Bücher