Hueter Der Macht
nicht danach – »und vieles aus dieser wohlwollenden Förderung ist in den Aufbau einer der besten Bibliotheken Roms und, ich wage sogar zu behaupten, der gesamten Christenheit geflossen. Ihr seid herzlich eingeladen, von unseren Einrichtungen Gebrauch zu machen, Bruder Thomas.«
Thomas neigte erneut den Kopf und lächelte. »Ihr seid müde, Bruder Prior, und ich habe Euch lange genug aufgehalten. Vielleicht können wir uns morgen weiter unterhalten.«
Bertrand nickte. »Wir brechen unser Fasten nach dem Morgengebet, Bruder Thomas. Dann können wir weiterreden. Soll Daniel Euch Eure Zelle zeigen?«
»Vielen Dank«, sagte Thomas, »aber Daniel hat mir bereits gezeigt, wo sie sich befindet, und ich habe noch etwas zu erledigen, bevor ich zu Bett gehe.«
»Und was wäre das?«
Thomas holte tief Luft, und als Bertrand seinen Gesichtsausdruck sah, fragte er sich unwillkürlich, ob es nicht doch Frömmigkeit gewesen war, die den jungen Mann dazu gebracht hatte, sich den Dominikanern anzuschließen.
»Ich möchte vor dem Altar des heiligen Petrus beten, Bruder Prior. Mich vor den Gebeinen des großen Apostels zu Boden zu werfen und mich Gottes Willen anzuvertrauen, ist schon immer mein größter Wunsch gewesen.«
»Dann um der Jungfrau willen, Bruder, lasst Arno erst noch Eure Füße behandeln, bevor Ihr geht. Ich möchte nicht vom Papst hören müssen, dass einer meiner Brüder Blut auf dem heiligen Boden des Petersdoms verschmiert hat.«
Nach den Feierlichkeiten des Tages war mit der Dunkelheit auch die Ruhe in Rom wieder eingekehrt, und die Straßen lagen verlassen da. Thomas ging vom Konvent über die Brücke, die den Tiber überspannte – es lief sich nun weit angenehmer in den Sandalen, nachdem Arno seine eiskalten Füße mit Kräutern eingerieben und mit dicken, weichen Verbänden umwickelt hatte –, blieb auf der anderen Seite stehen und starrte zu der riesigen runden Anlage der Engelsburg hinüber, welcher der Konvent seinen Namen verdankte. Thomas hatte gehört, dass sie einst das Grab eines großen heidnischen römischen Kaisers gewesen war, doch der Erzengel Michael war eines Tages auf ihrem Dach erschienen, und von da an war das Gebäude einem heiligen und christlichen Zweck geweiht worden – es war eine Festung, die den Eingang zum Sitz der Päpste in Rom bewachte, der Leostadt.
Thomas wandte den Kopf nach Westen zum Petersdom, der auf dem Hügel der Leostadt errichtet und von einigen niedrigeren Gebäuden und Palästen umgeben war, die nun wieder die päpstliche Kurie und den Heiligen Vater selbst beherbergten. Lichter erleuchteten viele Fenster des Papstpalastes, doch selbst die Aufregung über den jetzt wieder in Rom ansässigen Papst konnte Thomas’ Erstaunen beim Anblick des großartigen Petersdoms nicht übertreffen, der vor ihm in der Nacht aufragte.
Thomas’ Blick wanderte zur Engelsburg zurück. Es hieß, ein längst verstorbener Papst habe einen Gang bauen lassen, der vom Papstpalast neben dem Petersdom in den Keller der Festung führte – ein Fluchtweg in ein gut befestigtes Versteck, sollte die römische Bevölkerung jemals zu aufrührerisch werden. Da die Römer in dem Ruf standen, zu spontanen und entsetzlichen Gewalttaten zu neigen, fragte sich Thomas, ob es nicht die erste Amtshandlung Gregors gewesen war, nachdem er sich in seinen Gemächern niedergelassen hatte, höchstselbst den Tunneleingang von Spinnenweben und Rattennestern zu befreien.
Thomas grinste bei dieser Vorstellung und schalt sich sogleich für seine Respektlosigkeit. Er betrachtete das Tor in der Mauer der Leostadt. Es war geschlossen, doch standen mehrere Wachen davor, und Thomas hoffte, dass sie ihn einließen.
Das taten sie dann auch. Ein einzelner Dominikaner stellte für niemanden eine Bedrohung dar, und Thomas’ offensichtliche Frömmigkeit und sein Beharren darauf, vor dem Grab des heiligen Petrus beten zu wollen, beeindruckten die Wachen ebenso wie Bertrand.
Dass er jedem von ihnen eine Münze in die Hand drückte, vertrieb alle etwaigen Bedenken.
Hinter dem Tor ging Thomas langsam die Straße hinauf, die zum Petersdom führte.
Die Basilika war riesig. Seit Kaiser Konstantin sie im vierten Jahrhundert errichtet hatte, war sie erweitert, renoviert, restauriert und vergrößert worden, doch sie war immer noch einer der heiligsten Orte der Christenheit: ein Monument, das über dem Grab des heiligen Petrus gebaut worden war, dem ersten der Apostel Christi. Jedes Jahr kamen Zehntausende von Pilgern
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