Hueter Der Macht
Winkel deiner Seele blicken? Die Frau hat dich benutzt. Sie war ohne jede Moral. Was du getan hast, war richtig und hat meine Brüder sehr gefreut.
Thomas hätte gedacht, dass durch die Worte des Erzengels eine große Last von seinen Schultern genommen würde, doch stattdessen fühlte er sich immer noch schuldig. »Ich habe sie im Stich gelassen, heiliger Michael. Und wenn sie sich der Lüsternheit hingegeben hat, dann nur, weil ich sie verführt und ihrem Ehemann abspenstig gemacht habe…«
Du warst unverheiratet, Thomas. Sie hingegen hat ihrem Ehemann gegenüber einen Schwur vor Gott geleistet. Wer, glaubst du, hat bei eurem Ehebruch am meisten gesündigt?
»Ich…«
Vergiss nie, dass es eine Trau gewesen ist, die Adam verraten hat.
»Ich bin trotzdem schuldig, großer Heiliger.«
Der Erzengel schwieg und Thomas glaubte schon, er hätte ihn verärgert. Er zitterte und wollte etwas sagen, doch als er den Mund öffnete, sprach der Erzengel: Dein Schuldgefühl ist richtig und soll dich daran erinnern, niemals wieder den Verlockungen des Weibes zu folgen. Denn dies führt zu Sünde und Bedauern.
»Ich werde daran denken, o Heiliger.« Thomas hatte noch nie zuvor in seinem Leben so sehr aus vollem Herzen gesprochen. Die Liebe zu einer Frau hatte ihm die größten Schmerzen bereitet. In seinem Leben hatte es fast nur Bedauern gegeben.
Nutze dein Bedauern und deine Schuld, um daran zu wachsen, Thomas. Nutze sie, um dafür zu sorgen, dass du nicht noch einmal von Gottes Weg abweichst. Fliehe die Versuchung, wo immer sie sich dir zeigt. Folge nur Gottes Wort und dem Seiner Engel.
»Das werde ich, o Heiliger!«
Du hast deine erste Prüfung bestanden, Thomas. Nun folgt eine weitaus größere. Das Böse weilt unter deinen Brüdern, Thomas.
Thomas schauderte. »Unter den Mitgliedern meines Ordens?«
Vielleicht, aber ich spreche von der ganzen Menschheit. Viele Jahre lang konnte sich das leibhaftige Böse in Gestalt von Satans Geschöpfen frei bewegen und verbreitete Chaos und Verzweiflung. Die Welt verändert sich, Thomas, und wendet sich von Gott ab. Du gehörst zu den Auserwählten des Herrn, deines Gottes, und meiner Brüder und du sollst Seine Armee des gerechten Zorns anführen.
Thomas hatte das Gefühl, als würden all die verschiedenen Elemente seines Lebens plötzlich einen Sinn ergeben. Selbst als er der Verzweiflung nahe gewesen war und kein Ziel mehr erkennen konnte, hatte der Herr ihn die ganze Zeit über geleitet und auf seine Aufgabe vorbereitet. Er hatte geglaubt, das Leben, das er vor seinem Eintritt in den Orden geführt hatte, sei wertlos und leer gewesen. Jetzt wusste Thomas es besser.
Jubel erfüllte seine Seele. Er sollte ein Soldat Christi werden… und das Böse war sein Gegner.
»Was soll ich tun? Ich gehöre dir, o Heiliger, mit Geist, Körper und Seele!«
Studiere. Bete. Mehre deine Weisheit. Wenn die Zeit gekommen ist, werde ich dich weiter unterweisen.
»Aber…«
Weiter kam Thomas nicht. Plötzlich waren das Leuchten und die Wärme verschwunden, und er war allein im Petersdorn vor einer leblosen Statue, deren Gesicht nur noch kalt und abweisend war.
Er setzte sich auf, Tränen liefen ihm immer noch über die Wangen, die Hände hatte er gefaltet, während er zur Statue des heiligen Michael emporblickte.
»Ich gehöre dir!«, flüsterte er. »Dir allein!«
Ja, erklang das leiseste Flüstern, wie vom Gipfel des Himmels selbst herab. Du bist wahrhaftig einer der unseren.
Zum ersten Mal seit vielen langen und schrecklichen Jahren spürte Thomas so etwas wie Frieden in sich einkehren. Gott und seine Engel hatten sich ihm offenbart und ihn in die Arme geschlossen, ihm Wärme, Beistand und ein Ziel gegeben. Ein Leben ohne Gott hatte nur Elend mit sich gebracht. Jetzt konnte er seine Sünden wiedergutmachen.
Thomas stand sehr langsam auf und taumelte ein wenig vor Mattigkeit. Er wusste nicht, warum Gott ihn auserwählt hatte, warum Er sich für einen Mann entschieden hatte, der so schwer mit Sünden beladen war, doch Thomas wäre es nicht in den Sinn gekommen, sich dem Befehl des heiligen Michael zu widersetzen.
Da ihm nun Erlösung und Seelenfrieden versprochen worden waren und ein Kampf, in dem er sich selbst verlieren konnte, gab es nichts, was Thomas nicht für Gott getan hätte.
Kapitel Zwei
Vom Samstag nach dem Montag nach Dreikönig
Im neunundvierzigsten Jahr der Regentschaft Eduard III.
(Samstag, 17. Januar 1377)
bis zum
Samstag innerhalb der Oktave bis zu Mariä
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