Hueter Der Macht
unermessliche Gnade Gottes kaum fassen, nun endlich hier sein zu dürfen. Er hatte das überhebliche Leben eines Ritters geführt, hatte den Nervenkitzel des Schlachtfeldes und den Luxus eines behüteten Lebens als Mitglied einer der ranghöchsten Familien Englands genossen. Er hatte das sündige Leben eines Liebhabers geführt und dann nicht zu seiner Geliebten gestanden, was furchtbare Konsequenzen nach sich gezogen hatte. Und doch hatte Gott ihm all diese schrecklichen Sünden verziehen, auch wenn Thomas sich selbst kaum vergeben konnte. Wenn er hier vor dem Altar des heiligen Petrus stand, dann nur durch Gottes allumfassende Gnade, und Thomas schwor noch einmal, dass er sein gesamtes Leben in den Dienst Gottes stellen würde. Nur in Gottes Händen war er sicher… er konnte sein Leben nicht selbst bestimmen, ohne diejenigen, die er liebte, zum Tod zu verdammen. Nur bei Gott war er sicher. Nur bei Gott.
»Nur bei Gott«, flüsterte Thomas.
Am Altar blieb er erneut stehen. Er wusste, dass auf einer Seite Stufen in eine Kammer hinabführten, wo er durch ein Gitter das Grab des heiligen Petrus sehen konnte, doch im Augenblick konnte und wollte er nichts anderes tun, als sich vor dem Altar zu Boden zu werfen.
Er beugte die Knie, den Blick immer noch zum Altar erhoben, dann ließ er Kopf und Hände sinken und streckte seine Beine aus, bis er in der Form eines Kreuzes vor dem Altar auf dem Boden lag.
Es war kalt und unbequem, doch Thomas war von solchem Eifer beseelt, dass er es gar nicht bemerkte.
Heiliger Petrus, betete er im Geist immer wieder, schenke mir deine Bescheidenheit und deinen Mut, lass meine Schritte den deinen folgen, auf dass mein Leben so achtbar sei wie deines, lass mich dem süßen Herrn Jesus Christus dienen, wie du es getan hast, lass Schmerz und Hunger mich nicht anfechten, damit ich mich ganz in das wahre Wunder und die Freude Gottes versenken kann. Heiliger Petrus…
Die Stunden vergingen, ohne dass er es merkte, und die Basilika leerte sich bis auf den Mönch, der vor dem Altar ausgestreckt lag. Thomas’ Muskeln waren steif vor Kälte und voller Inbrunst seine Gedanken, und sonst nahm er nichts mehr wahr. Alles, was er wollte, war die Gnade des heiligen Petrus, um als Diener Gottes angenommen zu werden –
Thomas.
Thomas war tief ins Gebet versunken. Er hörte nichts.
Thomas.
Einer seiner ausgestreckten Finger zuckte leicht, doch sonst wies nichts darauf hin, dass er etwas gehört hatte.
Die Stimme wurde nun drängender und machtvoller.
Thomas!
Thomas’ gesamter Körper erzitterte, und er drehte sich auf den Rücken, blinzelnd vor Überraschung und Verwirrung.
Thomas!
Er zuckte erneut zusammen, richtete sich auf einem Ellbogen auf und blickte das Hauptschiff der Basilika hinab.
Dort drang goldenes Licht aus einer der Grabnischen auf der linken Seite der Basilika.
Thomas!
Der Mönch erhob sich und senkte den Kopf. »Herr!«
Thomas, komm her und sprich mit mir.
Zitternd vor Furcht und Verwunderung näherte sich Thomas der Stimme, sein Atem ging schwer, den Blick hielt er unverwandt auf die Steine vor sich gerichtet.
Thomas…
Er ging langsam auf die Nische zu und hob kurz den Kopf.
Sie bot gerade genug Platz für die Statue eines Engels mit ausgebreiteten Armen und Flügeln.
Thomas nahm an, dass die Statue aus Alabaster bestand, doch sie strahlte jetzt so hell, dass er beinahe geblendet wurde. Das Gesicht der Statue war schrecklich anzusehen, erfüllt von grausamer Rechtschaffenheit und der Macht des Herrn.
Thomas wandte voller Angst den Blick ab.
»Herr!«, sagte er noch einmal.
Nein, Thomas. Nicht Gott unser Herr, sondern Sein Diener, Michael.
Der Erzengel Michael…
»Gepriesen seist du, Heiliger«, flüsterte Thomas.
Gesegnet seist du, Thomas, sagte der Erzengel und Thomas spürte dabei eine Wärme auf seinem geneigten Kopf, als hätte ihm der Engel zum Segen die Hand aufs Haupt gelegt.
Thomas begann zu weinen.
Weine nicht, Thomas, sondern höre, was ich zu sagen habe. Es gibt nur wenige Männer und Frauen, die ein mutiges Herz und eine aufrechte Seele besitzen. Du bist einer von ihnen.
»Ich würde mein Leben dafür geben, Gott zu dienen, o Heiliger!«
Das musst du nicht, Thomas, denn du gehörst zu denen, die Gott auserwählt hat.
Gottes Auserwählter?
»O Heiliger, ich bin ein armer Mann, auf dessen Seele eine große Sünde lastet. Da war eine Frau, die ich…«
Glaubst du, ich kenne nicht jede Tat deines Lebens? Denkst du, ich kann nicht in jeden
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