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Hundert Jahre Einsamkeit

Hundert Jahre Einsamkeit

Titel: Hundert Jahre Einsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Garcia Marquez
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den spiegelwändigen Häusern zu enträtseln, bis zu dem Tag, an dem er das Eis kennenlernte. Nun erst glaubte er seinen tiefen Sinn zu verstehen und dachte, daß es in nächster Zukunft möglich sein müsse, Eisblöcke in großem Rahmen herzustellen, und zwar aus einem so alltäglichen Stoff wie Wasser, und mit ihnen die neuen Häuser des Dorfes zu bauen. Macondo würde aufhören, ein glutheißer Ort zu sein, dessen Scharniere und Sicherheitsriegel sich in der Hitze verbogen, und sich in eine winterliche Stadt verwandeln. Wenn er nicht auf seinen Versuchen beharrte, eine Eisfabrik zu bauen, so deshalb, weil er sich mittlerweile für die Erziehung seiner Söhne buchstäblich begeistert hatte, besonders für die Aurelianos, der vom ersten Augenblick an eine seltene Begabung für Alchimie gezeigt hatte. Das Laboratorium war aus dem Staub erstanden. Melchíades' Aufzeichnungen in ausgedehnten, geduldigen Sitzungen überprüfend, versuchten sie nunmehr gemeinsam, Ursulas Gold von dem am Kesselgrund festgebackenen Klumpen zu lösen. Der junge José Arcadio beteiligte sich kaum an dem Verfahren. Während sein Vater nur Auge und Ohr war für seine Brunnenröhre, verwandelte sich der eigenwillige Erstgeborene, der für sein Alter immer zu groß gewesen war, in einen überdimensionalen jungen Mann. Seine Stimme brach. Zaghafter Flaum bedeckte seine Oberlippe. Eines Abends trat Ursula in sein Zimmer, als er sich zum Schlafengehen auszog, und empfand ein Gemisch aus Scham und Mitleid: Nach ihrem Ehemann war er der erste Mann, den sie nackt sah, und dieser war fürs Leben so gut ausgerüstet, daß er ihr anormal vorkam. Zum dritten Male schwanger, durchlebte Ursula von neuem die Schrecknisse einer Neuvermählten.
    Zu jener Zeit kam eine fröhliche Person ins Haus, eine vorlaute Lästerzunge, die im Haushalt half und die Zukunft aus den Karten zu lesen verstand. Ursula sprach ihr von ihrem Sohn. Sie dachte, sein Unmaß sei etwas so Unnatürliches wie der Schweineschwanz des Vetters. Das Weib ließ ein hemmungsloses Lachen erschallen, das wie Glasklirren durchs Haus hallte. »Im Gegenteil«, sagte sie, »er wird glücklich sein.« Um ihre Voraussage zu bestätigen, brachte sie ein paar Tage später ihre Kartenspiele mit und schloß sich mit José Arcadio in einer neben der Küche gelegenen Kornkammer ein. In aller Ruhe breitete sie die Karten auf einem alten Tischlertisch aus und sprach über Beiläufiges, während der junge Mann eher gelangweilt als neugierig neben ihr wartete. Plötzlich streckte sie die Hand aus und berührte ihn. »Donnerwetter«, sagte sie ehrlich erschrocken, mehr brachte sie nicht heraus. José Arcadio fühlte, daß seine Knochen sich mit Schaum füllten, er fühlte verzehrende Angst und schreckliches Verlangen zu weinen. Die Frau hatte ihn keineswegs herausgefordert. Dennoch suchte José Arcadio sie die ganze Nacht in dem Rauchgeruch ihrer Achseln, der ihm unter die Haut gegangen war. Er wollte alle Augenblicke bei ihr sein, wollte sie zur Mutter haben und nie mehr die Kornkammer mit ihr verlassen, er wollte, sie solle »Donnerwetter« zu ihm sagen, sie solle ihn von neuem berühren und von neuem »Donnerwetter« zu ihm sagen. Eines Tages hielt er es nicht länger aus und suchte sie zu Hause auf. Stattete ihr einen förmlichen, unverständlichen Besuch ab und saß wortlos in ihrem Wohnzimmer. In diesem Augenblick begehrte er sie nicht. Er fand sie verschieden und völlig abweichend von dem Bild, das ihr Geruch hervorrief, als sei sie eine ganz andere. Er trank seinen Kaffee, niedergeschlagen verließ er das Haus. In jener Nacht, im Schrecken des Wachens, begehrte er sie von neuem mit grausamem Drang, doch nun wollte er sie nicht mehr so, wie sie in der Kornkammer gewesen war, sondern wie er sie am Nachmittag gesehen hatte.
    Tage später rief die Frau ihn zur Unzeit in ihr Haus, wo sie allein mit ihrer Mutter war, und führte ihn unter dem Vorwand, ihm ein Kartenkunststück zeigen zu wollen, in das Schlafzimmer. Dort berührte sie ihn mit solchem Freimut, daß er nach dem ersten Erschauern eine Enttäuschung erlitt und eher Angst als Vergnügen empfand. Sie bat ihn, er solle sie in der gleichen Nacht abholen. Er stimmte zu, nur um fortzukommen, wohl wissend, daß er außerstande sein würde, hinzugehen. Doch nachts, im blühenden Bett, begriff er, daß er sie holen müsse, auch wenn er dazu nicht imstande war. So zog er sich aufs Geratewohl an, während er im Dunkeln den gleichmäßigen Atem seines Bruders

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