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Hundert Jahre Einsamkeit

Hundert Jahre Einsamkeit

Titel: Hundert Jahre Einsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Garcia Marquez
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mit Menschen füllte. Im Schutz des Durcheinanders machte er sich auf die Suche nach seinem Bruder, der seit elf Uhr nicht mehr in seinem Bett lag; sein Entschluß kam so spontan, daß er nicht einmal Zeit zu der Frage fand, wie er es anstellen sollte, ihn aus Pilar Terneras Schlafzimmer zu schaffen. Privatsignale pfeifend, umschlich er mehrere Stunden das Haus, bis der anbrechende Tag ihn zum Umkehren zwang. Er fand José Arcadio mit dem Gesicht eines Unschuldslamms im Schlafzimmer seiner Mutter, wo er mit dem neugeborenen Schwesterchen spielte.
    Ursula hatte gerade ihre vierzigtägige Ruhezeit beendet, als die Zigeuner wiederkamen. Es waren dieselben Gaukler und Gleichgewichtskünstler, die das Eis mitgebracht hatten. Im Gegensatz zu Melchíades' Sippe hatten sie in kurzer Zeit bewiesen, daß sie keine Fortschrittsherolde waren, sondern Belustigungshausierer. Als sie übrigens seinerzeit das Eis brachten, rühmten sie auch nicht seine Nützlichkeit für das Leben der Menschen, sondern priesen es als reine Zirkusneuigkeit. Diesmal brachten sie unter vielen anderen Zauberstücken eine fliegende Matte mit, die sie freilich nicht als grundlegenden Beitrag zur Entwicklung der Verkehrsmittel, sondern als Gegenstand der Unterhaltung vorstellten. Natürlich gruben die Leute ihre letzten kleinen Goldmünzen aus, um einen kurzen Flug über die Häuser des Dorfes zu genießen. Beschützt von der köstlichen Straflosigkeit der allgemeinen Unordnung, erlebten José Arcadio und Pilar Stunden der Zwanglosigkeit. Unter all den Menschen waren sie ein glückliches Liebespaar und kamen sogar auf die Vermutung, daß die Liebe ein ruhigeres, tieferes Gefühl sein könne als das berauschende, wiewohl kurz bemessene Glück ihrer geheimen Nächte. Doch Pilar brach den Zauber. Angespornt von der Begeisterung, mit der José Arcadio ihre Gesellschaft genoß, vergriff sie sich in der Form und der Gelegenheit, fiel ihm mit der Tür ins Haus. »Nun bist du ein Mann«, sagte sie. Und da er nicht verstand, was sie damit meinte, erklärte sie es ihm buchstäblich:
    »Du wirst einen Sohn bekommen.«
    Mehrere Tage wagte sich José Arcadio nicht mehr aus dem Haus. Er brauchte nur Pilars zwerchfellerschütterndes Gelächter in der Küche zu hören, um ins Laboratorium zu flüchten, wo dank Ursulas Segenswort die Erzeugnisse der Alchimie wiederauferstanden waren. Freudig empfing José Arcadio Buendía den verlorenen Sohn und weihte ihn in die endlich begonnene Suche nach dem Stein der Weisen ein. Eines Nachmittags gerieten die jungen Männer in Verzückung über die fliegende Matte, die pfeilgeschwind auf Fensterhöhe des Laboratoriums vorüberglitt, auf ihr der Zigeunerführer und mehrere ausgelassen winkende Dorfkinder, doch José Arcadio Buendía würdigte sie keines Blickes. »Laß sie träumen«, sagte er. »Wir fliegen besser als sie, und zwar mit wissenschaftlicheren Hilfsmitteln als einer armseligen Bettdecke.« Trotz seines gespielten Interesses verstand José Arcadio keineswegs die Macht des philosophischen Eis , das ihm nichts anderes schien als ein schlechtgeblasener Flakon. Es wollte ihm nicht gelingen, seine Sorgen loszuwerden. Er verlor den Appetit und den Schlaf, verfiel in Übellaunigkeit wie sein Vater, wenn ihm irgendein Unternehmen mißlang, und seine Verstörung steigerte sich so sehr, daß selbst José Arcadio Buendía ihn seiner Laboratoriumspflichten enthob in dem Glauben, der Junge nehme die Alchimie allzu ernst. Aureliano begriff natürlich, daß der Kummer des Bruders nicht in der Suche nach dem Stein der Weisen beruhte, vermochte ihm indes kein Wort des Geständnisses zu entlocken. Er hatte seine einstige Ungezwungenheit vollständig verloren. Aus einem mitteilsamen Mitverschworenen war ein feindseliger Schweiger geworden. Begierig auf Einsamkeit und von wütendem Weltgroll zerfressen, schlüpfte er eines Nachts wie üblich aus dem Bett, strebte aber nicht zu Pilar Terneras Haus, sondern mischte sich in das Getriebe des Marktes. Nachdem er sich zwischen allen Arten von Zauberapparaten herumgetrieben hatte, ohne indes an irgendeinem Gefallen zu finden, blieb sein Blick auf etwas haften, was nichts mit Spielereien zu tun hatte: auf einer blutjungen Zigeunerin, fast ein Kind, überladen mit Glasperlen, das schönste weibliche Wesen, das José Arcadio je in seinem Leben gesehen hatte. Er stand in der Menge, die gerade dem trostlosen Schauspiel eines Menschen beiwohnte, der aus Ungehorsam gegen seine Eltern in eine Schlange

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