Söhne der Rosen - Das geheimnisvolle Tattoo (Gay Phantasy) (German Edition)
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Ich erinnere mich noch sehr genau, es war im Frühsommer 1997 als meine Eltern und ich nach Cape Orchid gezogen waren. Kurz nach meinem neunzehnten Geburtstag. Damals hatte Zeit noch eine Bedeutung.
Mein Vater hatte einen Versetzungsbefehl erhalten und nach seinen Aussagen war eine Weigerung unmöglich. Befehl ist Befehl – das war sein Standardsatz. Und was sein Vaterland ihm abverlangte, das übertrug er mit uneingeschränkter Selbstverständlichkeit auf seine Familie. Weder meine Mum noch ich hätten es jemals gewagt, etwas gegen die Versetzung zu sagen oder sie auch nur in Frage zu stellen. Schließlich war er General Ernest W. Grifter, im Dienst und im Privatleben.
Nachdem mein Vater uns von der Versetzung erzählt hatte, hatte meine Mum nachts in unserer spärlich beleuchteten Küche gesessen und leise geweint. Ich hatte sie gehört, weil ich selber nicht schlafen konnte. Der General hatte es zu unserem Glück nicht mitbekommen, er verfügte immer über einen kurzen, aber tiefen Schlaf. Im Gegensatz zu ihm hieß für uns sein Befehl, eine Menge Dinge und Menschen zurückzulassen, die uns viel bedeutet hatten. Meine Mum war Vorsitzende im Komitee zur Hilfe AIDS-infizierter Kinder, Mitglied bei dem M.H.S.Y.C. und sie traf sich jeden Mittwochabend mit ihren Freun dinnen zum Pokern. Ich war zwar durch keine Vereine gebunden – dafür bin ich zu introvertiert – aber ich musste einige wirklich gute Freunde zurücklassen, deren Freundschaft bis zu fünfzehn Jahre überdauert hatte. Und ich weiß, dass eine Distanz von vierhundertachtzehn Meilen auch solche Freundschaften zerstören kann.
Trotzdem haben wir es in jener Nacht geschafft, uns gegenseitig ein wenig Trost zu spenden. Wir hielten uns im Arm, trocknende Tränen auf den Wangen, und witzelten über den Grund für die plötzliche Versetzung. Eine der ernsteren Überlegungen meiner Mum war, dass der General vielleicht mit einem frischen Rekruten auf der Männertoilette erwischt worden sei, als er dessen Kopf zur Abhärtung und zum eigenen Besten in der Kloschüssel wusch, und man ihn nun unauffällig abschieben wollte. Er war hart und nie zu Kompromissen bereit. Diese Eigenschaft hatte ihm vergleichsweise schnell den Posten eines Generals inklusive zweier Sterne eingebracht – mit siebenundvierzig Jahren war er jetzt nicht unbedingt einer der jüngsten Generäle in der Geschichte der Army, dafür allerdings einer der härtesten – aber vielleicht war es eben gerade auch diese Eigenschaft, die bestimmten Politikern unter der Regierung von Clinton nicht zusagte. Man konnte ihn nicht einfach kündigen, also ließ man ihn verschwinden, in ein kleines, unbedeutendes Nest.
Der Zeitpunkt hätte nicht ungünstiger sein können. Ich stand vor meinen letzten Abschlussprüfungen in der Highschool, hatte mich auf den Sommer gefreut und im Anschluss daran auf das College statt auf die Militärakademie, die meine Mum in wochenlanger Arbeit und mit Engelszungen meinem Vater ausgeredet hatte. Nicht, weil mir lernen so viel Spaß machte – es fiel mir leicht, aber ich war kein Streber – nein, es war hauptsächlich die Aussicht darauf, mein Elternhaus zu verlassen und auf den Campus zu ziehen. Mir ein eigenes Zimmer mit Chad Tassilo zu teilen, meinem besten Freund seit dem ersten Jahr auf der High, ohne die Zwänge einer familiären Militärdiktatur durch meinen Vater. Einfach frei zu sein und mich irgendwann nicht mehr verstecken zu müssen. Diese Idee hatte lediglich einen winzigen, säuerlichen Beigeschmack: Ich wäre dann raus, aber meine Mum müsste allein mit dem General bleiben. Andererseits würde ich früher oder später sowieso unser Heim verlassen und meine Mum hatte ihn mit ihrer passiven Art Widerstand zu leisten, einigermaßen im Griff. Ghandi hätte seine wahre Freude an ihr gehabt.
Jedenfalls bemühte ich mich um die besten Noten, um meinen Vater gnädig zu stimmen, und war recht erfolgreich damit. Ich hatte mich innerlich sogar schon mit dem technischen Bereich angefreundet, obwohl mir musische Fächer wesentlich besser lagen. Aber mit so etwas hätte ich bei dem General nicht landen können. Wer benötigt schon Poesie in Worten, Tönen oder Bildern im Gefecht? Ein Computerexperte, den man zum Beispiel in Raketentechnik weiterbilden könnte, wäre dort lieber gesehen. Ich tröstete mich mit der Idee, nach einem abgeschlossenen Informatikstudium Mathematik und Kreativität miteinander zu verbinden. Der begnadete Künstler M. C. Escher
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